Timo Jouko Herrmann, Markus Imbsweiler

Beziehungszauber

Klassische Meisterwerke unter der Lupe

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: J. S. Klotz, Neulingen
erschienen in: das Orchester 11/2024 , Seite 66

Diese Publikation ist die Frucht einer Reihe von Veranstaltungen, die die Autoren seit 2020 durchgeführt haben. Und zwar in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg (warum in just dieser Kooperation, wird nicht erwähnt). Den Teilnehmer:innen sollten Werke klassischer Musik in zweierlei Gestalt nahegebracht werden: einer erzählenden und einer erklärenden. Die Beschreibung und Einbettung in Zeit und Stil der insgesamt 20 Werke stammen vom Schriftsteller (Imbsweiler), die durchaus voraussetzungsvollen Analysen vom Komponisten (Herrmann). So wird auch der Buchtitel verständlich. (Wobei der Ausdruck „Beziehungszauber“ ein wenig nach Werbesprache klingt.)
Die 20 Werke sind ordentlich verpackt in vier Abteilungen – plus zwei Exkursionen. So weit, so übersichtlich. Die Abteilungen samt passenden Zuordnungen selbst sind allerdings ziemlich verschwommen. Sie lauten: Musik und Politik; Musik und Mensch; Musik und Natur; Musik und andere Künste.
Warum findet sich Robert Schumanns 1. Sinfonie – die sogenannte Frühlingssinfonie – in der Abteilung Musik und Mensch und nicht bei Musik und Natur? Ganz klar: weil Schumann nicht die Jahreszeit, sondern den inneren Aufbruch, das Gefühl von Schöpferkraft und Neuerung meinte. Er selbst hat es so geschrieben. Ein zweites Beispiel: Warum steht Mozarts Klavierkonzert KV 503 unter Musik und Politik? Ganz klar: weil die Verhältnisse für anspruchsvolle Künstler im staatsbewussten 18. Jahrhundert mit ihren machtvollen Fürsten und Geistlichen oft kein Honigschlecken waren.
Was zeigen diese Beispiele? Dass die ordnenden Blöcke begrifflich so gefasst sind wie Schnitt und Fasson einer bequemen Haushose. Es passt alles irgendwie hinein, aber nirgends sitzt es richtig gut.
Die Autoren haben die Beliebigkeit ihrer Gesichtspunkte natürlich selbst gemerkt und im Sinne einer Captatio benevolentiae zur Sprache gebracht. Ganz klar, gestehen sie zu: Richtig abgrenzen lassen sich die Abteilungen nicht. Und für die Wahl der klassischen Meisterwerke lässt sich gleiches sagen. Herrmann und Imbsweiler räumen ein, dass man natürlich auch andere Musikstücke hätte nehmen können.
Mit der getroffenen Auswahl der Kompositionen wandelt der musikinteressierte Leser auf der Mainstreet im Klassik- und Konzertbetrieb. Dagegen ist nichts einzuwenden, schließlich muss man irgendwo anfangen. Und das Buch soll ja zur Musik „hinführen“.
Was in Vorträgen, Dialogen, Fragen und kompetenten Antworten sinnvoll ist und tatsächlich zur Musik führen kann, klappt in einem Buch – ohne Klang, nur mit Worten und viel Beliebigkeit – nicht so ganz überzeugend.
Kirsten Lindenau

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