Berchtein, Boris

Beyond the Tango

Berlin Piano Trio: Katarzyna Polonek (Violoncello), Krzysztof Polonek (Violine), Nikolaus Resa (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Rime Records LC 32836
erschienen in: das Orchester 01/2016 , Seite 81

Seit 2001 schuf der ukrainische Musikwissenschaftler Boris Berchtein, der in Moskau an der Gnessin Musikakademie studierte, Liederzyklen nach russischen Dichtern. Auf Tonträger erschienen hierzu bereits Aufnahmen aus seiner Zusammenarbeit mit der Sopranistin Olga Ageeva. Ein Klavierzyklus folgte wenig später unter dem Titel Grandes Illusions. Seither hat der Komponist seine kammermusikalischen Ambitionen weiterentwickelt. Daraus gingen zuletzt die drei ersten Bände der großen, neunteiligen Edition Jenseits des Tango beim Berliner Musikverlag Ries & Erler hervor.
Die Sammlung besteht aus Stücken für Violine, Violoncello und Klavier, in denen auch auf andere Tänze wie z.B. den Walzer verwiesen wird, der Tango aber entweder in Reinform exakt nach Metrum erscheint oder in Abwandlungen im Hintergrund immer präsent bleibt. Den ebenso in synästhetischer Assoziation geschriebenen Stücken korrespondieren von Ekaterina Berchtein erstellte Bilder mit nostalgischem Touch, zu einem guten Teil in Scherenschnitten auf farblichem Hintergrund realisiert, welche die sehnsuchtsvolle Stimmung und melancholische Seite des Tango-Ambientes der argentinischen – aber auch russischen – Salons insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren widerspiegeln. Gleichzeitig transportieren sie wie die Musik selbst die emotionale Hingebung an die sehnsuchtsvolle Seele des Tango. Dieser verkörpert für den Komponisten eine Idee von Befreiung und Freiheit, da er untrennbar zur Musik der unterdrückten Klassen in Argentinien oder Uruguay gehört.
Für die Aufnahme der ersten neun Stücke fand sich mit dem Berlin Piano Trio eine ideale Besetzung. Katarzyna Polonek, die in Poznan eine eigene Cello-Klasse leitet, trat häufig solistisch auf und arbeitete mit den Berliner Philharmonikern ebenso wie mit den Wiener Symphonikern und dem Rundfunk-Symphonieorchester Berlin zusammen. Sie findet in allen Beispielen, sei es Violet Tango oder Lullaby for Fania, zwischen den Extremen, die sie auslotet, von einer romantisch-verträumten Interpretation im Pizzicato bis zum hartgestrichenen rhythmischen Stampfen, die richtige Tonlage. Ihr idealer Partner ist Krzysztof Polonek, Erster Violinist bei den Berliner Philharmonikern und Meisterkursdozent in Breslau, der noch die kleinsten Abstufungen vor allem in den galanten wie den intonierenden Passagen mit äußerster Einfühlsamkeit umsetzt. Der häufige Metrumswechsel in ein- und derselben Tanznummer, etwa in Dark Wine, werden pointiert und schlagfertig ausgeführt. Ein auf AB-Schemata basierendes Stück wie Pegtop of time spielt mit dem Verlauf des Parameters Zeit und verfügt über ebenso viel leichte tänzerische Anmut wie eingängiges Melos, das nicht selten den argentinischen Tango mit dem wehmütigen Ton
ostjüdischer Musik zu verbinden versteht. Lediglich das Klavierspiel des mehrfachen Preisträgers Nikolaus Resa, derzeit Korrepetitor an der Universität der Künste in Berlin, wirkt gegenüber dem temperament- und glutvollen Spiel der polnischen Protagonisten an manchen Stellen doch ein wenig akademisch und verhalten. Bei Berchteins Tangovarianten handelt es sich jedenfalls um einmalig zu nennende Amalgame aus weltweit verstreuten Stilkonzepten mit hohem kunstmusikalischen Anspruch.
Hanns-Peter Mederer