Werke von Georg Hajdu, Todd Harrop, Ákos Hoffmann und anderen

Beyond the Horizon

Nora-Louise Müller / Ákos Hoffmann (Klarinette / Bohlen-Pierce-Klarinette)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 77

Die Komponisten des 20. Jahrhunderts haben sich bei der Suche nach neuen Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten auch mit der Erweiterung unseres zwölftönigen Tonsystems z. B. durch Unterteilung in Vierteltöne befasst. Wer mit diesen Klangbildern vertraut ist, wird Ähnlichkeiten in den Stücken der CD Beyond the Horizon erkennen, deren Grundlage ein Tonsystem ist, das über die zwölf Stufen und das Oktavphänomen hinausgeht. 1971 wurde die nach ihren Urhebern benannte Bohlen-Pierce-Skala entwickelt, die innerhalb einer Duodezime dreizehn Tonschritte enthält, die im Abstand von 146 Cent stehen.
Als prädestiniertes Instrument zur musikpraktischen Anwendung ist die in die Duodezime überblasende Klarinette nach einigen Veränderungen der Bauweise besonders geeignet. Die mit Neuer Musik bestens vertraute Nora-Louise Müller widmet sich seit einigen Jahren der Bohlen-Pierce-Klarinette und hat einige Projekte ins Leben gerufen. Die CD mit ausführlichen Erklärungen im Booklet dokumentiert in einem Querschnitt diese Arbeit, die an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg stattfindet.
Der Komponist Georg Hajdu ist ein engagierter Anhänger der Bohlen-Pierce-Skala. In seinem Stück Burning Petrol adaptierte er Alexander Skrjabins Vers de flamme op. 72 für ein Bohlen-Pierce-Ensemble aus drei Klarinetten, E-Gitarre, Kontrabass und Synthesizer, das die spätromantische Expressivität des Originals durch die schwebende Harmonik erweitert. In dem programmatischen Beyond the Horizon kombiniert Hajdu ein Klarinetten- Duo mit Synthesizerklängen aus einer gestreckten Obertonreihe, sodass glockenartige Klänge entstehen.
Ákos Hoffmann spielt in Duo Dez für zwei Sopran- und eine Tenor-Bohlen-Pierce-Klarinette mit Arpeggien und erkundet die Tonalitätsgrenzen des Systems. In Nora-Luise Müllers Trio Morpheus treten die Spieltechniken der Neuen Musik wie Mehrklänge und effektvolle Glissando-Passagen hinzu. Besonders eindrucksvoll ist das Solostück Bird of Janus von Todd Harrop, in dem sich Vogelrufe mit Trillerketten ablösen und die verschiedenen Lagen der Klarinette abwechslungsreich eingesetzt werden – all dies auf der Basis eines ausgeklügelten Kompositionssystems mit Rückgriffen auf das 14. Jahrhundert. Naturbezüge sind auch in Manfred Stahnkes Die Vogelmenschen von St. Kilda zu vernehmen, der sich auf einfache Akkordbildungen mit ungeraden Zahlenverhältnissen im Sinne des Ausgangskonzepts der Skala beschränkt und eine dichte Komposition erzielt.
Musikalisch ergiebig ist die Kombination des zwölf- und dreizehnstufigen Systems in Sascha Lino Lemkes Pas de Deux und Frederik Schwenks Night Hawks. Hierin scheint noch Potenzial für harmonisch spannungsreiche Kompositionen zu liegen. Mit spürbarem Engagement haben Nora-Luise Müller und ihre Mitstreiter mit dieser CD dafür den Weg bereitet.
Heribert Haase

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