Rainer Peters (Hg.)

Bernd Alois Zimmermann

Intervall und Zeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wolke/Schott
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 62

Bernd Alois Zimmermann gilt heute als einer der bedeutendsten Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anlässlich seines 100. Geburtstags im Jahr 2018 gab es weltweit zahlreiche Aufführungen seiner Werke und Veröffentlichungen zu Schaffen und Biografie. Es ist das eingetreten, was Wilfried Brennecke schon 1984 formulierte: „Zimmermanns Rang ist unbestritten, und was er geschaffen hat, wird sich allmählich, zwar langsam wie alles Gewichtige und Ernste, aber unaufhaltsam durchsetzen.“ Zwei Jahre nach den Feiern zum 100. Geburtstag begeht die Musikwelt im Jahr 2020 den 50. Todestag Zimmermanns.
Der Dirigent Kirill Petrenko antwortete auf die Frage, welchem verstorbenen Komponisten er gerne einmal begegnen würde, verschmitzt: „Bernd Alois Zimmermann – ich hätte da noch ein paar Fragen …“. Dem Manne kann geholfen werden! Eine Auswahl der Schriften von Bernd Alois Zimmermann, die unter dem Namen Intervall und Zeit erstmalig im Jahr 1974 erschienen sind und lange vergriffen waren, sind in einer Neuauflage wieder zugänglich. Die Texte sind Selbstreflexionen, Gedanken zum eigenen Werk und zu dessen Referenzen in älterer Musik, Darlegungen seiner vieldiskutierten Zeitphilosophie, Überlegungen zu Film, Ballett, Jazz und eine Gesamtkunstwerk-Utopie jenseits der Soldaten, zudem Zeitungsaufsätze, Polemiken und ein umfangreiches Radiohörspiel über die Alterslosigkeit einer epochenübergreifenden „Ars nova“.
Christoph Bittner, der damalige Herausgeber, hatte mit der Sammlung eine gewichtige Quelle für Rezeption und Forschung erstellt. Die Neuauflage wurde um drei gewichtige Texte ergänzt, die schwer zugänglich waren. Wobei der Text „Über die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der ,bösen neuen‘ und der guten alten‘ Musik“ schon einmal 1984 in der Zeitschrift für Musiktexte (Heft 24) erschienen ist.
In der Neuauflage wurden die Texte chronologisch geordnet und umfassen den Zeitraum von 1949 bis 1969 und damit auch den biografischen Hintergrund. Was diese Neuauflage so lesenswert macht, sind – neben dem kundigen und spannend zu lesenden Vorwort des Herausgebers Rainer Peters – die erhellenden und umfangreichen Kommentare zu den einzelnen Texten. Sprach Christoph Bittner in seinem Vorwort zur ersten Auflage davon, dass hier die „trigonometrischen“ Punkte fixiert werden, die das Denken von Zimmermann bestimmen, so ist es Rainer Peters mit seinen Kommentaren gelungen, das Umfeld dieser Fixpunkte zu beleuchten.
Dass die Einführungen Zimmermanns zu seinen Werken in der Neuauflage entfallen sind, ist nicht nachvollziehbar, jedoch leicht zu verschmerzen, sind sie doch in dem Band Zeitschichtungen (1998) herausgegeben von Klaus Ebbeke und ebenfalls im Schott-Verlag erschienen, leicht zugänglich.
Fazit: Dieser Band ermöglicht für erfreulich kleines Geld eine spannende Reise in die Gedankenwelt dieses Komponisten, zahlreiche Fotografien aus dem Privatarchiv der Familie Zimmermann erhöhen den Lesegenuss.
Michael Pitz-Grewenig