Henrich, Heribert

Bernd Alois Zimmermann

Verzeichnis der musikalischen Werke von Bernd Alois Zimmermann und ihrer Quellen, erstellt unter Verwendung von Vorarbeiten von Klaus Ebbeke (†)

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 66

Seine große Bedeutung für die Musik des 20. Jahrhunderts ist unbestritten, und doch kennt man von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) nur ein schmales, ab ungefähr 1955 entstandenes Œuvre, dessen Wahrnehmung durch seine Oper Die Soldaten zudem nahezu verdeckt wird. Um so verblüffter hält man das nunmehr erschienene Werkverzeichnis in Händen, ein physisches Schwergewicht, das selbst vergleichbar opulente Dokumentationen klassischer „Musikheroen“ noch übertrifft und mit dem zum ersten Mal das Werk eines Komponisten neuerer Zeit nach historisch-kritischen Prinzipien und in systematisch-chronologischer Form erschlossen wird. Darin eingeflossen sind umfangreiche Studien des Musikwissenschaftlers und Zimmermann-Spezialisten Klaus Ebbeke, der 1992 seine Krankheit nicht mehr ertragen hat und aus dem Leben geschieden ist.
Für den etablierten Konzertbetrieb wären grundsätzlich knapp siebzig Kompositionen nutzbar (19 Orchesterwerke, 7 Konzerte und 13 kammermusikalische Stücke sowie Vokalmusik von recht unterschiedlicher Beschaffenheit), von denen jedoch viele aus der teils konservativ-tonalen, teils neoklassizistischen Frühphase stammen. Die wenig spektakulären Bühnenmusiken, zwei Musiken zu Kurzfilmen und eine stattliche Anzahl von Bearbeitungen (darunter auch von Volksliedern) kommen dafür hingegen ebenso wenig in Betracht wie das große Repertoire „Rundfunkmusik“ mit 103 Nummern, das man aber ohnehin als wenig ambitionierten „Werkstattertrag“ bewerten darf.
Bereits die intellektuelle Vielschichtigkeit und komplexe Entstehungsgeschichte von Zimmermanns überschaubarem Hauptwerk, das seinen Nachruhm begründet, zwingen zu einer umfangreichen Darstellung (etwa für Die Soldaten rund 85 Seiten oder für das Requiem für einen jungen Dichter fast 60 Seiten). Alle wichtigen Angaben werden gut strukturiert vermittelt: Zunächst die Basisinformationen (Besetzung, Widmungen, Textherkunft, Gliederung, Uraufführung, Veröffentlichung usw.), dann die Quellenbeschreibung der zahlreichen Skizzen, Particells sowie verschiedener Entwürfe und Reinschriften, die einen anstrengenden Schaffensprozess dokumentieren; es folgen Selbstzeugnisse (ganz überwiegend aus der Korrespondenz des Komponisten), die eine ebenso spannende Lektüre bieten wie der zusammenfassende, oft mehrseitige Essay zur jeweiligen Werkgeschichte, mit dem jeder Eintrag endet. Allerdings vermisst man generell Notenincipits, die den Charakter einer Komposition gut vermitteln würden. Während sich die bedeutenden Werke Zimmermanns einer solchen Darstellungsmöglichkeit weitgehend entziehen (dafür hat man faksimilierte Reinschriften einbezogen – eine ganz ausgezeichnete Lösung!), könnte man so den stilistischen Wandel des unbekannten frühen Schaffens besser nachvollziehen. Gleichwohl wurde hier in der musikwissenschaftlichen Grundlagenforschung historisches Neuland betreten, und hoffentlich versteht man dies als Startsignal für die entsprechende Beschäftigung mit weiteren Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Georg Günther