Werke von Beethoven, Bruckner, Dvořák, Mahler und Schostakowitsch

Bernard Haitink – Portait Vol. II

Chor & Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Bernard Haitink

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 3/2025 , Seite 74

Bei seinem Tod im Oktober 2021 war er, zuletzt 92-jährig, schon längst zu den ganz großen Dirigentenpersönlichkeiten unserer Zeit avanciert: Bernard Haitink, der sich stets als „Handwerker unter Handwerkern“ betrachtete.
Erst jüngst brachte das Label „BR-Klassik“ eine Retrospektive hauptsächlich mit Symphonien klassischer, romantischer und moderner Komponisten heraus, die Haitink im Laufe seines spannenden und abwechslungsreichen Lebens mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dirigierte. Die mit Portrait Vol. II betitelten Live-Aufnahmen reichen von 1981 (Bruckners und Dvořáks jeweils Siebenter Symphonie sowie das sehr lebendige Scherzo Capriccioso op. 66 von Dvořák) bis in das Jahr 2019 hinein mit dem denkwürdigen Konzert des damals hochbetagten Neunzigjährigen mit Beethovens Neunter. Außerdem sind in der CD-Schachtel Bruckners berühmte Symphonie Nr. 4 Es-Dur in der Fassung von 1878/1880, die Achte in der inzwischen nicht mehr sehr oft gespielten Fassung von Robert Haas aus dem Jahre 1939 sowie Bruckners Te Deum zu hören. Leider gibt es nur eine Aufnahme einer Symphonie von Gustav Mahler und zwar seine Siebente. Und nicht zuletzt finden sich die Symphonien Nr. 8 c-Moll op. 65 und Nr. 15 A-Dur op 141 aus der Feder von Dmitri Schostakowitsch.
Aus der Wahl der fünf Komponisten stechen insbesondere Bruckners Einspielungen der drei Symphonien als überaus beeindruckendes Zeugnis von Haitinks Interpretationskunst hervor. Vielleicht ist es aber auch nur die Gewöhnung des Autors an die vorwiegend älteren, unglaublich warmen und klangschönen, hochemotionalen wie auch farbenbrünstigen und intensiven Aufnahmen, die bis auf wenige Ausnahmen kaum mehr so gespielt werden. Es scheint, als ob heutzutage mit respektablem Abstand, beinahe distanziert gespielt wird. Dagegen lässt sich Haitink Zeit, auch bei den beiden Siebenten von Mahler und Dvořák und bei Beethovens Neunter – stets lässt er die Musik wirken, für den Hörer, für die Musiker, für sich selbst.
Die beiden Symphonien Schostakowitschs, insbesondere seine Achte, wirken allerdings eher zurückhaltend, wie mit Samthandschuhen angefasst. Kein Vergleich zu heutigen Aufnahmen, in denen gerade die Farben zu Recht viel greller gezeichnet sind. Die erschütternde Brutalität, das verzweifelte Entsetzen oder auch die zu Herzen gehende, tiefe Trauer, die das Werk durchgehend sehr emotional widerspiegelt, kommt eher mutlos daher. Es scheint, Haitink habe Schostakowitsch unterschätzt oder wollte ihn bei der Aufführung zu dessen 100. Geburtstag im Jahre 2006 nicht in einem zu düsteren Licht zurücklassen.
Werner Bodendorff