Jost, Christian
Berlinsymphony / Lover-Skysong
Konzerthausorchester Berlin, Ltg. Iván Fischer/Deutsches Kammerorchester Berlin, Ltg. Christian Jost
Bei der im März 2015 uraufgeführten Berlinsympony des 53-jährigen Komponisten Christian Jost geht es um urbane Topografie und Atmosphäre. Aber auch Berlin Die Sinfonie der Großstadt schwingt da mit Titel jenes Films von Walther Ruttman von 1927, für den Edmund Meisel damals die Musik schrieb. Christian Jost selbst hat den Ort des Klangbilds seines Werks fixiert: Berlin, Torstraße, vier Uhr morgens. Musik also eines Orts metropolitaner Turbulenz, wie sie rund um den Rosenthaler Platz tatsächlich herrscht: ein Pandämonium strömender und sich kreuzender Verkehrsdynamik. Vier Uhr das wiederum ist der Zeitraum zwischen tiefster Nacht und Morgengrauen. Ein Indifferenzpunkt, an dem der Druck und die Leere, der Stress und die Entspannung aufeinanderstoßen.
Die Musik des viersätzigen, dreißigminütigen Werks stellt ein pulsierendes Raster aus verhakten Repetitionen in grundtöniger Klanglegierung vor; Felder diverser Dichte und Ausdrücklichkeit ein Klangraum griffiger, meist überschaubarer und dominanter Rhythmik in vollorchestralem Habitus; mit fasslicher, teils das Bombastische streifender Kraft. Denkt man einmal an Edgard Varèses Amériques, dann bleibt hier alles ohne den desaströsen oder grundstürzenden Schöpfungsimpuls, der im frühen 20. Jahrhundert den bruitistischen und futuristischen Großstadtmythos beflügelte. Bei Jost geht es eher um die Resonanz urbaner Lebenswelt bezogen auf ein individuelles Sensorium, und so folgen dann auch weitgezogene, gleichsam lyrische Melodiebögen bis zu einer Druckminderung des Ganzen, die ruhige, solo-instrumentale, tonal fassliche Melodien auftauchen lässt. Aus solch kontemplativem Rückzug entfaltet sich dann wieder jene zielbestimmte Pulsation, wie überhaupt ein latent nervöses Moment den diversen Dessins der Jostschen Klangsprache eigen ist.
Während Berlinsymphony vom Konzerthausorchester Berlin unter Iván Fischer sehr souverän und beweglich gespielt wird, hat bei Lover-Skysong der Komponist selbst dirigiert. Ein ebenfalls 2015 entstandenes, 23-minütiges Werk, das in der Tradition von Memento- und Trauermusik steht, sich aber sukzessive in improvisatorisch anmutender Weise figurativ-ornamental belebt. Ein Genres kreuzendes und Höhenlagen mischendes Produkt. Stellenweise wirkt es wie ein Medley diverser Idiome und Gestaltungs-Attitüden, das kaleidoskopisch allerlei Motivfloskeln verknüpft und zusammenfallen lässt. Hier spielt das schön klingende Deutsche Kammerorchester Berlin mit den distinguiert und luftig agierenden Solisten Annika Treutler (Klavier), Arnulf Ballhorn (Bass Guitar) und Josie Lin (Schlagzeug). Der Streichersatz unter Josts Leitung wirkt dagegen eher blockhaft und dynamisch unmoduliert.
Bernhard Uske