Schubert, Franz
Berliner Philharmoniker Nikolaus Harnoncourt
Die vorliegende Box ist nicht nur durch ihr unübliches (Quer)Format außergewöhnlich. Auch ihr Inhalt fällt in vielfacher Weise aus dem Rahmen. Bei ihrem eigenen Label legen die Berliner Philharmoniker hier die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt im Fall der Musik von Franz Schubert vor. Dabei geht es nicht nur um die acht Sinfonien, sondern auch die beiden späten Messen und die Oper Alfonso und Estrella. Allein die Ausstattung und die Optik dieser Veröffentlichung sind opulent und gelungen. Ähnlich biblio- oder discofil haben die Bamberger Symphoniker vor einigen Jahren auch ihren Schubert-Zyklus unter Jonathan Nott vorgelegt (siehe Besprechung in das Orchester 7-8/2011, S. 75).
Es empfiehlt sich, vor dem Hören der Musik das auf der beigegebenen Blu-Ray-Disc diese bringt alle Aufnahmen noch einmal in Studio-Master-Qualität enthaltene Interview mit Nikolaus Harnoncourt anzusehen. In diesem geht es nämlich nicht nur um Harnoncourts Sicht auf Schubert, sondern auch um die Geschichte seiner Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern. In beiden Fällen sind die Äußerungen des Musikers höchst spannend und aufschlussreich.
Diese Schubert-Sammlung ist denn auch mehr als nur eine weitere Gesamteinspielung der Sinfonien Schuberts oder der späten Messen sowie im Fall von Alfonso und Estrella eine erfreuliche Alternative zu der Einspielung mit der Staatskapelle Berlin unter Otmar Suitner zum Schubert-Jahr 1978: Sie ist das Dokument der ertragreichen Zusammenarbeit des Toporchesters mit einem der innovativsten Musiker der Gegenwart bei einem Repertoire, das diesem besonders am Herzen liegt. Sie zeigt, wie sich die Berliner höchst produktiv auf einen Dirigenten aus dem Bereich der historisch informierten Aufführungspraxis einzulassen in der Lage sind und zu welch überzeugenden Ergebnissen das führt.
Harnoncourt ist in diesem Zusammenhang bekanntlich kein Purist, sondern hat stets seine eigenen Vorstellungen von Werk und Aufführung. Bei Schubert führt das zu Interpretationen frei von (spät)romantischem Ballast und klanglicher Schwere. Doch deshalb ist dieser Schubert nicht klassizistisch leichtgewichtig. Harnoncourt nimmt auch die frühen Sinfonien sehr ernst und er entfaltet einen speziellen Schubert-Ton stets mit wehmütigem Unterton und existenzieller Tiefe. Wie immer, so entfaltet
er auch hier die Partituren mit großer Sorgfalt und Sprachkraft sowie einer faszinierenden Genauigkeit im Detail. Das sorgte in den meisten Fällen für exemplarische Deutungen. Bei der Dritten freilich kann Harnoncourt vor allem wegen des etwas zu breit genommenen zweiten Satzes Carlos Kleibers unerreichte Wiedergabe mit den Wiener Philharmonikern nicht erreichen.
Doch auch wegen der intensiven Interpretationen der Messen in As-Dur und Es-Dur sowie der unter anderem mit Christian Gerhaher, Dorothea Röschmann, Kurt Streit oder Hanno Müller-Brachmann exzellent besetzten und von Harnoncort dramatisch akzentuierten Oper bei allen Vokalwerken überzeugt auch der Rundfunkchor Berlin gehört diese Box zu den Meilensteinen der Schubert-Discografie.
Karl Georg Berg