Frauke Adrians

Berlin: Teufel auch!

Die Berliner Philharmoniker boten ein Kontrastprogramm zum Advent

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 56

Müssen denn alle guten Melodien wirklich des Teufels sein? Diesen Stoßseufzer, frei nach Luther, hat John Adams 2018 in drei luziferisch vertrackten Sätzen vertont – und die Berliner Philharmoniker unter Leitung von Santtu-Matias Rouvali machten sein Werk Must the Devil Have All the Good Tunes? zum Zentralstück ihres Fast-schon-Weihnachtskonzerts im Dezember. So viel Funk und Swing und Boogie, so viel verführerischer Rhythmus so kurz vorm Fest? Ja, bitte! Süß und besinnlich wird es zu Weihnachten ja früh genug. Und die Überdosis teuflischer Triolen, die Solist Víkingur Ólafsson in die Tasten des Steinway hämmerte, machte dem großen Publikum in der Philharmonie einen Heidenspaß.
Schon wegen des Wiedererkennungseffekts: Kein geringeres Stück als das Peter Gunn Theme von Henry Mancini, bekannt aus dem Film Blues Brothers, hat John Adams prominent in seinem Devil-Konzert verarbeitet. Ólafsson spielte den ersten Satz – u. a. mit „gritty, funky, twitchy“ überschrieben – so cool wie Elwood Blues persönlich. Er hätte sogar noch mehr Grit und Drive ins Spiel bringen können; die Philharmoniker, insbesondere Blechbläser, Bassisten und die Herren von der Schlagzeugfraktion, servierten die Rhythmen gepfefferter und prononcierter als er. Aber das Gesamtbild stimmte; und wie. Dass kurz vor Weihnachten Wünsche wahr werden, dafür lieferte Víkingur Ólafsson den besten Beweis. „Ich spiele das erste Mal mit den Berliner Philharmonikern, davon habe ich geträumt, seit ich zehn bin“, bekannte der Isländer und bedankte sich mit einem Satz aus Bachs Orgelsonate Nr. 4. Angesichts seiner Accelerandi, Rubati und Crescendi ging vieles von dem, was die Welt in den vergangenen Jahren über die historisch informierte Aufführungspraxis gelernt hat, buchstäblich zum Teufel. Und wenn schon – es klang wunderbar.
Rhythmisch vertrackt, charmant versponnen und verschraubt, so hatte das Sinfoniekonzert der Philharmoniker bereits begonnen: mit der Helix von Esa-Pekka Salonen, dem amtierenden Composer in Residence des Orchesters. Ein Bravourstück, so recht zum Schwungholen vorm Jahresendspurt – und eine Herausforderung für jeden Dirigenten. Santtu-Matias Rouvali, hochpräzise, aber nie unterkühlt, behielt die verschlungenen Drähte des Zehnminüters fest in der Hand und schien es zu genießen, mit den Philharmonikern in den immer engeren, immer schnelleren Windungen der Komposition Gas zu geben.
Nach der Pause hatte das Orchester eine große russische Sinfonie auf dem Programm, Prokofjews Fünfte. Oder sollte man sagen: eine sowjetische Sinfonie? Sergej Prokofjews nicht erst aus heutiger Sicht kaum zu verstehende Rückkehr in die Sowjetunion 1936 und sein Weg der Anpassung und Anbiederung an das System Stalin wird in diesem „neu-einfachen“, von russischer Volksmusik geprägten Werk gespiegelt, begreiflicher werden seine Lebensirrtümer und -lügen aber auch beim wiederholten Hören nicht. Diese Sinfonie zu spielen zehn Monate nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine, das ist eine nicht unproblematische Entscheidung. Unschwer konnte man in die blechsatte, zuweilen dröhnige Interpretation hineininterpretieren, dass Orchester und Dirigent ein Fremdeln mit dem Werk zu Gehör bringen wollten. Auch wenn Wolfgang Stähr im Programmhefttext tapfer von einer „gewissen Ironie“ schreibt, die man aus dem Finalsatz der Fünften herauslesen könnte, bleibt doch übergenug ironiefreies Pathos übrig.
Doch wie immer man Prokofjews 5. Sinfonie hört und liest: Das gesamte Konzert tat als Kont­rastprogramm im Advent gut und wurde vom Publikum gebührend gefeiert.