Lars-Erik Gerth

Berlin: Die weibliche Seite des Jazz

Claire Martin und Nikki Iles präsentieren beim „Spotlight Jazz“ mit der hr-Bigband die Songs großer Diven

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 59

Mit der noch recht jungen Konzertreihe „Spotlight Jazz“ ermöglicht die hr-Bigband ihrem Publikum interessante Einblicke in die Geschichte des Bigband-Jazz. Die Künstler:innen sind dabei nicht nur musikalisch zu erleben, sondern haben auch Wissenswertes zu Komponist:innen, Sänger:innen und Arrangeur:innen (die im Jazz eine sehr große, aber oft unterschätzte Bedeutung haben) parat. Ein gelungenes Format, wie die Ausgabe Ende November im gut gefüllten hr-Sendesaal bewies, die zwei renommierte englische Künstlerinnen gemeinsam mit der hr-Bigband gestalteten. Die Sängerin und BBC-Moderatorin Claire Martin und die Komponistin und Jazzpianistin Nikki Iles, die die Leitung des Abends übernahm, drehten den musikalischen Scheinwerfer auf die weibliche Seite ihres Genres. So erklangen Songs von bekannten und auch – zumindest in unseren Breiten – weniger bekannten Bigband-Divas. Claire Martin gab zu den Künstlerinnen und ihren Werken interessante Erläuterungen, ehe sie dann mit ihrer sehr wandlungs- und facettenreichen Stimme jeweils den Beweis dafür erbrachte, warum diese Songs in der Geschichte des Bigband-Jazz von Bedeutung waren und weiterhin sind. Hinzu kam noch eine Gesprächsrunde der beiden Jazz-Größen mit dem Frankfurter Kontrabassisten Gregor Praml, in der die Zuschauer auch einiges über die künstlerischen Lebensläufe von Martin und Iles erfuhren, die beide bereits in ihren Elternhäusern mit dem Jazz-Virus infiziert wurden.
Das knapp 80-minütige Konzert ohne Pause verging wie im Flug, was auch daran lag, dass die hr-Bigband ideal mit den beiden Gastkünstlerinnen harmonierte. Dabei erwies sich Nikki Iles als formidable Bandleaderin, die auf eine ideale Klangbalance zwischen den Instrumentalisten untereinander, aber auch zwischen Bigband und Sängerin achtete. Der Abend verdeutlichte zudem, dass das hr-Ensemble über hervorragende Solisten verfügt. So waren gleich mehrfach Saxofon-Soli vom Feinsten zu hören. Denis Gäbel veredelte beispielsweise seinen Solopart in Shirley Horns Come back to me durch modulationsreiches und ausdruckstarkes Spiel. Nicht anders verhielt es sich beim technisch formidabel intonierten Saxofon-Solo von Steffen Weber in Harold Arlens Song I’ve got the world on a string, den einst auch Frank Sinatra sang. Eine nicht unwesentliche Interpretation stammt aber von einer Bigband-Diva, nämlich von Sarah Vaughan.
Neben anderen Größen wie Ella Fitzgerald, Dinah Washington, Billie Holiday oder Peggy Lee stellte Claire Martin mit Carmen McRae auch ihre persönliche Favoritin unter den Jazz-Vokalistinnen vor, die stets ein wenig im Schatten der populäreren Kolleginnen stand. Eine der eindrucksvollsten Interpretationen von McRae galt dem George-Gershwin-Song A foggy day in London Town, den Claire Martin in Frankfurt besonders ausdrucksvoll und mit warmem Timbre zu Gehör brachte. Auch hier harmonierte sie auf exquisite Weise mit der hr-Bigband unter Nikki Iles’ umsichtiger Leitung. Dass jene auch eine superbe Jazzpianistin ist, wurde bei A weaver of dreams von Victor Young deutlich. Gemeinsam mit Axel Schlosser (Trompete), Hans Glawischnig (Bass) und Jean Paul Höchstädter (Schlagzeug) begleitete sie Claire Martin auf vorzügliche Weise. Insgesamt war es ein perfekter Jazz-Abend, der Werbung dafür machte, sich noch mehr mit der Rolle und der Bedeutung von Frauen in der Geschichte des Genres zu beschäftigen.