Strauss, Richard / Alexander Skrjabin

Bergwelten. Seelenflug

Alexander Skrjabin: Poème de l’extase pour grande orchestre op. 54 / Richard Strauss: Eine Alpensinfonie für großes Orchester op. 64.

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Musicaphon M 56937
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 77

Telegrammtitel mit quasi-philosophischem Anspruch: das allen CD-Einspielungen und Konzerten des Lübecker Philharmonischen Orchesters überschriebene Prinzip wirkt schon etwas gewollt. Wir stoßen da auf „Sacher. Schweiz. Nachhall“ oder auf „Sehnsucht. Hoffnung. Weltgeschehen“, noch besser: auf „Klarinette. Universum“. Dabei finden sich auf den von Roman Brogli-Sacher geleiteten Aufnahmen durchaus interessante und unbekannte Werke, nicht zuletzt von Schweizer Komponisten wie Arthur Honegger und Othmar Schoeck.
Die aktuelle CD der Lübecker heißt Bergwelten. Seelenflug und ist inhaltlich nicht ganz so spannend, denn sie enthält mit Alexander Skrjabins Poème de l’extase und Richard Strauss’ Alpensinfonie Repertoirestücke – wenngleich sehr gewaltige. Dass mit genügend Aushilfen heute beinahe jedes deutsche Profiorchester in der Lage zu sein scheint, diese Monsterwerke vom Beginn des 20. Jahrhunderts zu bewältigen, ist eine Schlussfolgerung dieser und anderer vergleichbarer CDs, etwa mit dem Orchester Gera-Altenburg.
Eine andere ist die bemerkenswerte Schlagkraft der Lübecker Philharmonie, die die vorliegende Aufnahme im Live-Konzert eingespielt hat (wenngleich für eine Optimierung sicher die Varianten mehrerer Aufführungen zur Verfügung standen). Erstaunlich ausgewogen ist der Gesamtklang, obwohl 34 von insgesamt 112 Musikern Gäste und acht weitere Praktikanten sind. Roman Brogli-Sacher leistet hier – übrigens auf seiner ersten Stelle als GMD – seit mehr als zehn Jahren eine sehr ambitionierte Arbeit und sorgt für große Kontinuität. Das ist dem Orchester anzuhören.
Die Alpensinfonie technisch, klanglich, konditionell und im Zusammenspiel stemmen zu können, das ist bereits die halbe Miete. Die Lübecker haben hier blühende Streicher, warme Holzbläser und ein knackiges Blech (manchmal im tiefen Register etwas laut) einzubringen. Die Pauken donnern gewaltig beim Sturm auf dem Berg, die Windmaschinen heulen wie in den schönsten Luis-Trenker-Filmen. Tempi und alle anderen Parameter der Ausführung sind ja von Strauss genauestens angegeben und lassen keinen allzu großen Spielraum für Interpretationen. Deshalb muss ein Dirigent bei der Alpensinfonie vielleicht auch keine neuen Ansätze liefern, sondern – wie Roman Brogli-Sacher es tut – einfach nur das Beste aus dem Orchester herausholen. Der Abstieg samt Gewitter und Epilog ist ihm jedenfalls besonders schön gelungen.
Noch deutlicher wird in Poème de l’extase, wie duftig und durchsichtig dieses Ensemble spielen kann, wie es Klangfarben miteinander verschmelzen lässt und sich am Ende wirklich fast in Verzückung spielt.
So wenig der CD-Markt die 55. Alpensinfonie und das 49. Poème de l’extase (vgl. Verfügbarkeit bei www.jpc.de) braucht – das Philharmonische Orchester Lübeck legt damit eine weitere überzeugende Visitenkarte vor, die allemal dazu dienen kann, neue Zuhörer für seine Auftritte zu gewinnen. Der Titel des letzten Konzerts in der Spielzeit 2011/12 passte gut zu diesem Anliegen: „Neugier. Erkenntnis. Abschluss“.Johannes Killyen