Abels, Norbert

Benjamin Britten

Die aktuelle Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Boosey & Hawkes, Berlin
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 61

An englischsprachiger Literatur zu Benjamin Britten besteht kein Mangel, an grundlegenden Darstellungen von Leben und Werk des nach Purcell zweiten „Orpheus Britannicus“ in deutscher Sprache hingegen schon. Norbert Abels, der sich auf seine bereits 2008 erschienene kompakte Rowohlt-Monografie stützen kann, hat nun mit seiner umfassenden Darstellung diese Lücke geschlossen.
Abels, Chefdramaturg der Frankfurter Oper und Professor an der Folkwang Universität Essen, schreibt höchst kompetent und einfühlsam über das Leben des 1913 in Nordengland geborenen Komponisten, der trotz ausgedehnter Reisen immer wieder in seine Heimat zurückkehrte und dort Impulse für sein vielfältiges Schaffen fand. In zwölf Kapiteln nähert Abels sich dem Schaffen und Leben dieses sich selbst auch wegen seiner mehr oder weniger offen gelebten Homosexualität und der Beziehung zu dem Tenor Peter Pears, für den er viele seiner Werke komponierte, als Außenseiter Empfindenden. Außenseiter war der 1976 verstorbene Künstler auch wegen seiner Sympathie für die politische Linke, vor allem aber durch seine konsequent pazifistische Haltung. Das Moment des Außenseitertums findet sich denn auch immer wieder in seinem Werk, besonders im Opernschaffen.
Der Autor analysiert nicht nur sehr treffend die Opern von Britten, der mit Peter Grimes 1945 einen Neuanfang der Opern in Großbritannien einläutete. Die entscheidende Rolle, die das Meer im musiktheatralischen Werk spielt, wird treffend dargestellt. Musikalische und inhaltliche Konstanten im Schaffen Brittens, seien es die Musiktheaterwerke, sein War Requiem, aber auch das Liedschaffen oder die Kammermusik, werden in diesem brillanten und zugleich tiefschürfenden Buch immer wieder zueinander in Beziehung gesetzt.
Abels zeichnet den Weg der früh erkannten Hochbegabung über das Studium bei Frank Bridge, den frühen Arbeiten für Dokumentarfilme und Theater nach und schildert die ausgedehnten, zumeist gemeinsam mit Pears unternommenen Reisen; in Indonesien beispielsweise traf er auf Gamelan-Musik, in Japan auf das Nô-Theater: Einflüsse, die sich teilweise deutlich in seinem Werk niederschlugen. Auch über den brillanten Pianisten Britten und den bedeutenden Dirigenten Britten liest man, ebenso über den Leiter des von ihm gegründeten Aldeburgh-Festivals. Die Schaffenswut des schon früh krankheitsanfälligen Komponisten ist ebenso ein Thema.
Norbert Abels stellt aber auch die problematischen Seiten des Künstlers dar, der sich offenbar wei­gerte, erwachsen zu werden. Dazu gehören auch die Vorwürfe einer pädophilen Neigung Brittens. Abels unterschlägt solche Vorwürfe nicht, sieht die intensive Beschäftigung mit Kindern, für die Britten viel komponierte, hingegen nicht im Zusammenhang mit ausgelebter Sexualität, sondern im Bereich der künstlerischen Sublimierung.
Wer sich mit dem Leben und Schaffen Benjamin Brittens intensiver beschäftigen will, kommt an dem Buch von Norbert Abels nicht vorbei. Es darf für sich den Rang eines Standardwerks beanspruchen.
Walter Schneckenburger