Werke von Ernst von Dohnányi

Being Earnest

Ensemble Raro

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica SM 250
erschienen in: das Orchester 04/2017 , Seite 67

Sein Leben begann in der alten Welt und endete in der neuen. 1895 konnte der 18-Jährige sein erstes Klavierquintett noch Johannes Brahms zur Beurteilung vorlegen, 1953, im Alter von 76 Jahren, schrieb er sein letztes Werk in den USA: die American Rhapsody. Ernst von Dohnányi wurde 1877 in Bratislava (damals Königreich Ungarn) und damit in die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie hineingeboren, in die Kultur also, die Stefan Zweig wehmütig als „Welt von gestern“ bezeichnete. Wenig später setzte Antonín Dvorák in seiner 9. Sinfonie einer „neuen Welt“ ein musikalisches Denkmal, die jenseits des Atlantik lag. Dorthin verschlug es Dohnányi allerdings erst 1949, nachdem er in seiner Heimat immer wieder mit (haltlosen) Vorwürfen angeblicher Kollaboration mit Nazi-Deutschland konfrontiert wurde. Zehn Jahre wirkte Dohnányi an der Florida State University in Tallahassee als Lehrer für Komposition und Dirigieren. Und wie Dvo­rák begann er sich für Folklore zu interessieren.
In den beiden Werken der vorliegenden CD ist davon allerdings noch nichts zu spüren. Sie zeigen Dohnányi als Spätromantiker, dem die Ideen nur so zufliegen. Staunenswert die Leichtigkeit, mit der er mitreißende, längere Entwicklungen gestaltet. Die Musik besticht durch Eleganz, harmonischen Reichtum und tänzerischen Schwung. Dieses sehr kultivierte und schwelgerische Komponieren ist oft mit Johannes Brahms verglichen worden. Doch ist Dohnányi weit mehr als nur ein Epigone. Der dritte Satz von op. 26 zum Beispiel enthält bei aller Gewandtheit in der melodischen Erfindung auch etwas Abgründiges, Doppelbödiges, das an Schostakowitsch denken lässt. Auf eine Fuge der Streicher mit einem intervallisch konzipierten Espressivo-Thema folgt unvermittelt ein harmonisch reicher Choral im Klavier (den Diana Ketler wunderbar oberstimmenbetont spielt). Im Anschluss verschränkt Dohnányi beide Sphären miteinander, ein Kunstgriff, der durchaus auf der Höhe der Zeit ist.
Das Klavierquintett op. 26 entstand 1914, als Dohnányi – durch Vermittlung von Joseph Joachim – in Berlin lehrte. Das Sextett hingegen schrieb er 1935 in Budapest. Zu dieser Zeit war er Direktor der dortigen Musikakademie und besaß als Klavierlehrer internationale Reputa­tion. Ihm wird das Bonmot zugeschrieben: „Wo die Gefahr am größ­ten, ist das Pedal am nächsten.“ Zu seinen Schülern zählten unter anderem Andor Földes und Géza Anda. Das Sextett (für Klavierquartett, Klarinette und Horn) enthält neben aller Schwärmerei und Sturm-und-Drang-Motivik (Kopfsatz) auch verspielte und eklektische Züge. Als „beinahe filmisch“ wird es im Beiheft charakterisiert. Dort erfährt man auch, dass der Titel der CD Being Earnest auf das gleichnamige Theaterstück von Oscar Wilde anspielt.
Das Raro-Ensemble vertieft sich mit hörbarer Leidenschaft in die Musik Dohnányis, alles klingt prachtvoll und rund und man kann nur hoffen, dass die Musik Dohnányis, der übrigens der Großvater von Klaus und Christoph von Dohnányi war, wieder häufiger in Konzertprogrammen erscheint.
Mathias Nofze