Werke von Adalbert Gyrowetz, Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven und anderen

Beethovens Welt 1799-1851

Der Revolutionär & seine Rivalen. CasalQuartett

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 78

Beethoven im Spiegel seiner Zeitgenossen abzubilden, das ver­sucht so manche Biografie. Gelun­gene und weniger gelungene Bei­spiele solcher Druckerzeugnisse waren im Jubiläumsjahr des großen Komponisten sprichwörtlich an jeder Straßenecke zu haben. Wenn nun das CasalQuartett mit einer formidablen Box mit fünf CDs den musikalischen Revolutionär im Spiegel seiner Rivalen porträtiert, so hat das eine andere Qualität. Denn auf diese Idee muss man erst mal kommen: Streichquartette des frü­hen, mittleren und späten Beetho­ven auf jeweils einer CD Werken anderer Komponisten gegenüber­zustellen, die aus demselben Jahr stammen.
Haydns „Komplimentierquar­tett“ etwa, sein vorletztes vollende­tes Werk für diese von ihm quasi erfundene Gattung, ist ebenso 1799 entstanden wie das Beethoven’sche op. 18,1, das die sechs frühen Quar­tette wenigstens der Nummer nach anführt. Und das Werk eines gewis­sen Adalbert Gyrowetz, der als ei­ner der fleißigsten Quartettschrei­ber seiner Zeit galt und bei Beetho­vens Begräbnis einer der Fackelträ­ger gewesen sein soll. Den aber kennt heute so gut wie niemand mehr. Das kann man hier nun hö­ren: Gyrowetz’ galanter, virtuoser, schon damals im Gestrigen verhaf­teter Stil; Haydns altersweiser, mit den Formen und harmonischen Er­wartungen spielender Genius; und Beethovens ungestümer Geist, der forsch die Konventionen über den Haufen wirft und zu neuen Ufern aufbricht.
Während (auf der zweiten CD) Boccherini noch im 18. Jahrhundert schöngeistigt, ist Beethoven bereits bei seinem furiosen op. 59 ange­kommen. Wir schreiben das Jahr 1806 und die Welt ist aus den Fu­gen. Da nimmt sich das Quartett des ebenfalls vollkommen vergessenen Peter Hänsel – ein Haydn-Schüler, der in Paris bei Pleyel wei­terlernte – äußerst seltsam aus.
Schließlich, wir sind nun schon auf CD 3 und im Jahr 1826, erfah­ren wir mit durchs Hören zum Staunen angeregten Sinnen, dass Beethovens op. 135, sein letztes Quartett, zeitgleich mit Schuberts Der Tod und das Mädchen auf die Welt kam. Was allerdings bedeutet, dass hier ein Werk, das musikali­sches Denken an die Grenzen der Auflösung treibt, mit einem vergli­chen wird, das neue, zukunftsträch­tigere Ausdrucksmittel gefunden hat.
Soweit das Konzept der Box, die mit Werken von Schumann, Mendelssohn und Czerny weitere Komponisten mit ins Boot holt, ohne direkte Gegenüberstellung. Alles in allem eine überaus bemer­kenswerte editorische Idee. Dabei ist die Ausführung durch das Casal­Quartett aller Ehren wert. Die Mu­siker gehören seit Jahren zur Welt­spitze, ihre Lehrjahre etwa beim Alban Berg Quartett hört man ganz offen beim Schubert heraus.
Der Quartettklang ist ungemein homogen, es wird tadellos intoniert, mit großer Emotion und Risiko­freude, selbst bei den unbekannten drei Ersteinspielungen dieser Sammlung. Dem Tonmeister hätte man hier und da Mut zu weniger Hall gewünscht. Einer der wichti­gen Beiträge im Beethoven-Jahr.
Armin Kaumanns