Geiger, Friedrich / Martina Sichardt (Hg.)
Beethovens Kammermusik
Das Handbuch
Dieses im Wortsinn gewichtige Buch ist Teil eines Handbuchs in sechs Bänden, das auf aktuellem wissenschaftlichen Stand alle Gattungsbereiche des Gesamtwerks von Beethoven erschließt. Der Band zur Kammermusik blickt dabei auf eine lange, wechselvolle Entstehungsgeschichte zurück, in deren Verlauf es sogar zu einem Herausgeberwechsel kam, doch man merkt ihm die widrigen Umstände nicht an.
An wen wenden sich derartige Veröffentlichungen? Kann das Buch die denkbaren unterschiedlichen Zielgruppen gleich gut bedienen? Es richtet sich zunächst an die Fachwelt und erhebt den Anspruch, den Stand der Forschung zu dokumentieren und auf dieser Basis weitere Forschungen anzustoßen, indem es grundlegendes Material bereitstellt. Zum anderen bedient es zumindest latent das Bedürfnis interessierter Laien und Musikliebhaber nach verständlichen Werkeinführungen. Der Schwerpunkt liegt erkennbar auf dem wissenschaftlichen Anspruch.
Das zugrunde liegende Konzept ist einleuchtend und hilfreich. So wechseln sich Grundsatzartikel zu Einzelaspekten der Rezeption mit analytisch diskutierenden Darstellungen der unterschiedlichen Werkgruppen ab. Jeweils einführenden Charakter haben etwa die Darstellungen zu Klang, Spieltechnik und Aufführungspraxis (Clive Brown), die Überlegungen zum Kompositionsprozess (Richard Kramer) und zur Quartettkultur zur Beethovenzeit (Andreas Eichhorn). Die Werkanalysen beginnen mit den Duo-Sonaten und führen über die Trios unterschiedlicher Besetzung bis zu den Streichquartetten. Diese werden, angesichts ihrer Bedeutung, nach Werkgruppen getrennt vorgestellt. Insgesamt achtzehn Wissenschaftler, keineswegs nur aus Deutschland, repräsentieren dabei exemplarisch die unterschiedlichen Forscher-Generationen und wissenschaftlich-analytischen Ansätze.
So ergibt sich ein facettenreicher Überblick über musikwissenschaftliches Denken heute, womit zugleich auch die Grenzen derartiger Publikationen angedeutet sind. Mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten
verknüpft sind nämlich auch verschiedenartige Sprachstile: zwischen den gegensätzlichen Polen guter Verständlichkeit, die spezielles Wissen auch Nicht-Fachleuten nahezubringen versteht, ohne auf Präzision zu verzichten (unerreichtes Vorbild: Ludwig Finscher), und hoch spezialisiertem Wissenschaftsjargon, der (fast) nur Eingeweihten zugänglich ist und vor sprachlichen Verkrampfungen nicht zurückschreckt. Mit diesem Kontrast muss man leben, zugleich unterstreicht er jedoch den Kompendiums-Charakter. So bringt der Individualstil mancher Forscher es mit sich, dass einige Kapitel nur bedingt für Nicht-Wissenschaftler, also im Sinne eines guten Konzertführers, nutzbar sind. Dieses Problem teilt die Musikwissenschaft mit anderen Disziplinen, von diesem Dilemma profitieren gelegentlich exzellente Wissenschaftsjournalisten.
Arnold Werner-Jensen