Beethoven in Stalingrad. Eine Konzertreise
Ein Film von Claudia und Günther Wallbrecht
Die Schlacht um diese russische Stadt, die Hitler um jeden Preis einnehmen wollte, da sie seit 1925 den Namen Stalins trug, gehört zu den grauenhaftesten Ereignissen des Zweiten Weltkriegs, verbunden mit Millionen von Toten. Die Musiker des Osnabrücker Symphonieorchesters reisten Anfang 2013 nach Wolgograd, wie Stalingrad längst wieder heißt, um an den Feierlichkeiten zum russischen Sieg vor 70 Jahren mit mehreren Konzerten teilzunehmen. Damit waren sie übrigens das erste deutsche Orchester, das in dieser Stadt spielte. Persönliche Bezüge gab es auch unter den Musikern: Der Großvater eines Musiker beispielsweise hatte an der Schlacht um Stalingrad teilnehmen müssen, die Mutter eines anderen verlor ihre Brüder dort.
Die Proben für die Reise, die aufgrund einer persönlichen Initiative des Geigers Christian Heinecke zustande kam, fanden zusätzlich zu den Proben für den regulären Konzertbetrieb statt. Fast zwei Jahre lang dauerte seine ehrenamtliche Organisationsarbeit. Heinecke, der sich intensiv mit der Schlacht um Stalingrad beschäftigt hat, ist sich sicher, dass Musik zur Völkerverständigung beitragen könne. Die Politik kann es noch nicht, sagt er im Interview zu Beginn der Dokumentation. Bei relativ milden zehn Grad minus kam das Symphonieorchester Osnabrück in Wolgograd an. Schnee und Siegessäulen, sehr große heroische Statuen, auch die Tribünen für den 70. Jahrestag des Endes der Schlacht fielen den deutschen Musikern auf. Die Kommunikation zwischen dem deutschen und dem russischen Orchester in der ersten Probe klappte hörbar gut, auch wenn beide aus verschiedenen Ausgaben spielten. Edward Serov, der russische Chefdirigent, und Andreas Hotz, Generalmusikdirektor in Osnabrück, mussten lediglich diskutieren, ob Beethoven ein bisschen romantischer oder ein bisschen schlanker auf die Bühne kam.
Neben den Konzerten blieb Zeit, um Denkmäler mit den schier endlosen Listen der Namen der Kriegstoten zu besuchen. Die Musiker ließ das sichtlich nicht kalt.
Auch Bratschistin Tabea Zimmermann traf zum Jubiläumskonzert der beiden Orchester ein. Sie hatte sich mit der Schlacht um Stalingrad beschäftigt und mit ihren Eltern Gespräche darüber geführt. Wenn es
darum geht, eine Geste der Freundschaft oder der Versöhnung zu machen, dann ist Musik genau die richtige Sprache, meint Tabea Zimmermann. Bewusst habe sie Hindemiths Bratschenkonzert für dieses Programm gewünscht, denn Hindemith war in Nazideutschland verfemt.
Die Musiker aus Osnabrück wurden allenthalben freundlich begrüßt, selbst russische Veteranen gingen positiv auf sie zu. Und die Osnabrücker? Sie genossen die Gastfreundschaft und spielten mit den russischen Kollegen am Ende ein grandioses gemeinsames Konzert. Die Musik dieser Konzertreise ist in Ausschnitten immer wieder zu hören (und als Bonusmaterail noch einmal ausführlich), sodass diese hervorragende DVD geschickt die Gratwanderung zwischen Reisedokumentation und Konzertvideo schafft.
Heike Eickhoff