Martin Geck

Beethoven hören

Wenn Geistesblitze geheiligte Formen zertrümmern

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Reclam
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 60

Im November 2019 verstarb im Alter von 83 Jahren Martin Geck, der fast ein Leben lang als Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund wirkte. In der Fachwelt geachtet und von Musikfreunden wegen seiner klaren Formulierungen geschätzt, machte er sich nicht zuletzt einen Namen durch seine kenntnisreichen Musiker-Biografien, die große Sachkenntnis mit Genauigkeit im Detail sowie mit Lesbarkeit verbanden – ein großer Vorzug. Jetzt meldet sich Geck posthum mit einer Studie zu Beethoven, die den Untertitel trägt „Wenn Geistesblitze geheiligte Formen zertrümmern“; den Mittelteil des Buchs füllt ein Gespräch von Geck mit Peter Schleuning, einem langjährigen Fachkollegen, das mit „Ausbrüche“ überschrieben ist.
Die Aufsatzfolge beginnt mit satz- und formanalytischen Betrachtungen, die so unterschiedlichen Kompositionen wie Beethovens „Sturm“-Sonate oder dem Streichquartett op. 132 gelten. Erstrebenswert sei dabei – gerade auch im Blick auf den Leser – ein „ganzheitliches Verständnis von Musik “; es gelte „von der Vorstellung“ abzurücken, nur von „Satzteilen“ oder „Formverläufen“ zu sprechen; ein „Laien-Ohr“ höre anders, „nämlich in Abfolgen, die es vor allem im Sinne leib-seelischer Prozesse wahrnimmt“.
Mit besonderem Nachdruck widmet sich Geck dem berühmten Eingangsmotiv der fünften Symphonie, spricht durchaus zutreffend „Von Furor des Anfangens“ und spannt den Bogen weiter zu jenen Themenkomplexen, die gerade mit der fünften Symphonie als sogenannter „Schicksals-Sinfonie“ verbunden sind; eine riesige Tradition von Deutungsmustern und Formulierungen scheint hier auf. Aber auch der spezielle Blick über den Notentext der Fünften hinaus kommt zum Tragen, etwa im Hinweis, wie Robert Schumann die berühmten vier Anfangsnoten des Kopfsatzes hörte und assoziierte.
Wie schon erwähnt, rückt das vorliegende Buch ein Fachgespräch zwischen Geck und Schleuning in die Mitte. Eine Fülle von musikalischen Themen und Aspekten wird angerissen, wobei große (Autoren-) Namen in die Diskussion einfließen: von Dahlhaus über Hegel bis Levy-Strauss, von Adolph Bernhard Marx über Rousseau bis Tieck, Schindler und Schoenberg.
Ganz am Rand flicht Geck ein und erdet die Zweier-Diskussion, er könne sich an eine familiäre Szene um 1947 erinnern, kurz nach dem Krieg: „Ich sehe mich als etwa Elfjährigen, an einem Sonntag mit den Ohren am Volksempfänger hängen und Beethovens ,Fünfte‘ hören: Zu diesem Zeitpunkt sendete der Nordwestdeutsche Rundfunk in den ersten Nachkriegsjahren das ,Meisterwerk‘: Daraus habe ich dann einen Beruf gemacht!“

Albrecht Goebel