Edward Dusinberre

Beethoven für eine spätere Zeit

Unterwegs mit einem Streichquartett

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Freies Geistesleben
erschienen in: das Orchester 02/2019 , Seite 60

Da erzählt ein Insider. Der Brite Edward Dusinberre kam als junger Mann direkt von der Hochschule – er studierte am Royal College of Music in London und an der Juilliard School in New York – in ein Ensemble, das damals schon fast zwanzig Jahre existierte und auf der ganzen Welt erfolgreich war. Als Neuling trat er einem renommierten Streichquartett bei und als britischer Außenseiter einem Ensemble, das sich in Ungarn gegründet hatte, seit 1983 aber in Boulder, Colora­do, lebte. 1993 sollte Dusinberre der neue Primarius des Takács Quartet werden, dem er seither angehört.
Das ist eine in vielen Details bemerkenswerte Karriere und – zumal die ungarische Musiktradition, in der das Quartett steht, einem Briten eher fremd sein sollte – eine überaus interessante Geschichte. Dusinberre erzählt sie eloquent am Beispiel der Auseinandersetzung der vier mit einer neuen Gesamteinspielung der Beethoven-Quartette, die nach wie vor zu den aufregendsten auf dem CD-Markt zählt. Dabei verwebt der Autor und Musiker die Geschichte des Ensembles und seine aufwendige Suche nach einem idealen Zusammenspiel mit der Entstehung von Beethovens Kompositionen, deren Besonderheiten, historischem Hintergrund und zukunftsweisenden Aspekten.
Genauso spannend und wechselvoll wie die Zeitabschnitte, in denen Beethovens Werke vor, während und nach der napoleonischen Besetzung Wiens entstanden sind, sind auch die drei Jahrzehnte seit der Erfindung und Entwicklung der CD, die viele Studios dazu nutzten, um Neuaufnahmen des klassischen Standardrepertoires zu produzieren. Die anfängliche Begeisterung ließ jedoch bald nach, und viele Ensembles – auch das Takács Quartet – mussten bereits begonnene Projekte neu denken und selbst finanzieren, um sie zu Ende bringen zu können.
Im Mittelpunkt steht immer wieder Beethovens Musik und die Frage nach ihrer Interpretation, darum, wie die Musiker um Nuancen des Ausdrucks ringen, wie sie neue Instrumente beschaffen müssen, wie sie Aufnahmen, Tourneen und Familienleben unter einen Hut zu bringen versuchen, wie sie lernen und lehren und über Musik nachdenken und musizieren. Im Zentrum stehen die Fragen: Was hat der Komponist gemeint? Wie übertragen wir es in den Saal? Wann halten wir uns während des Spiels an stren­ge Verabredungen, wann lassen wir die Zügel locker? Merkwürdig scheint, dass häufig auch über Tempofragen heftig diskutiert wird, wo Beethoven doch angeblich eindeutige Metronomangaben für jeden einzelnen Satz hinterlassen hat. Gleichwohl sind hier je nach Akustik, Ausdrucksgehalt und Stimmungsmoment unterschiedliche Lösungen möglich.
Edward Dusinberre schreibt aufrichtig, scheut nicht vor der Darstellung interner Querelen zurück und lässt auch Schicksalsschläge nicht aus. Er gewährt damit intime Einblicke in Leben und Arbeit eines solchen Ensembles, von dem es häufig heißt, es sei ein ganz eigener sozialer Organismus. Für Quartettfreunde ein Schatz, aber auch für Musikfreunde allgemein eine Bereicherung im Bücherschrank.
Matthias Roth