Andreas Kugler/Jasper Sharp/ Stefan Weppelmann/Andreas Zimmermann/Kunsthistorisches Museum Wien

Beethoven bewegt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Hatje Cantz
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 58

Wer dieses Jahr im beginnenden Frühling in Wien unterwegs war, sah sie allen Ortes: die Plakate zu „Beethoven bewegt“. Die Ausstellung sollte Ende März eröffnet werden und Beethoven, der ab seinem 22. Lebensjahr in Wien lebte und heute von den Wienern längst als „ihr“ Komponist betrachtet wird, anlässlich seines 250. Geburtstags groß feiern. Das Kunsthistorische Museum Wien, eines der bedeutendsten der Welt, liefert dafür genau das richtige Ambiente. Dann kam die Covid-19-Pandemie, und nun liegt ein kreativ gestalteter Katalog zu einer Ausstellung vor, die zunächst verschoben werden musste und nun auf den Zeitraum 29. September 2020 bis 24. Januar 2021 angesetzt ist.
Beethoven war immer schon ein Thema für bildende Künstler. Man denke an Gustav Klimts Beethoven-Fries, Max Klingers Beethoven-Skulptur oder an Arnulf Rainers Übermalung Ludwig van Beethoven – Totenmaske. Die Literatur hierzu ist enorm angewachsen, besonders jetzt im Vorfeld des Jubiläums: In den vergangenen Jahren erschienen, zumeist als Ausstellungskataloge, u. a. Beethoven im Bild. Eine Darstellung des Komponisten in der bildenden Kunst vom 18. bis zum 21. Jahrhundert (2012), Ludwig van. Le mythe de Beethoven (2016), In bester Gesellschaft: Joseph Stielers Beethoven-Porträt und seine Geschichte (2019), Beethoven-Bilder. Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben (2019) oder Beethoven visuell. Der Komponist im Spiegel bildlicher Vorstellungswelten (2020).
Konzentrieren sich diese aktuellen Veröffentlichungen auf Beethoven- Bildnisse, wird in der Wiener Ausstellung kein einziges Beethoven-Bild gezeigt. Auch auf anderen Ebenen widersetzen sich Ausstellung und Katalog traditionellen Erwartungen: Eine Biografie des Komponisten sucht man im Katalog vergebens. Eine Reihe von Artikeln vermeidet Überblicksdarstellungen und greift stattdessen Einzelaspekte heraus: Kindheitsbildnisse, seine Musik in Stanley Kubricks Film Clockwork Orange oder seine Rezeption in China. Kunstwerke sind abgedruckt, die sich entweder direkt auf Beethoven beziehen oder sich assoziativ zuordnen lassen, aber bewusst nicht kommentiert sind: zeichnerische Liniengeflechte von Jorinde Voigt zu Beethovens Klaviersonaten, Rebecca Horns umgekehrt an der Decke aufgehängter Flügel als Concert for Anarchy oder ein auf drei Seiten ausgebreitetes Standbild aus dem 10 minütigen Video Nummer acht, everything is going to be alright von Guido van der Werve über einen Eisbrecher, das im gleichen Saal zu sehen ist wie Bilder von Caspar David Friedrich und William Turner.
Im letzten der vier Säle realisiert Tino Seghal für diese Ausstellung This joy, basierend auf einzelnen Sätzen aus Beethovens Orchesterwerken: eine seiner „Situationen“, interaktive Kunstwerke, die nur in dem Moment Gestalt annehmen, in denen der Besucher ihnen begegnet. Solch ein Werk kann man nicht abbilden. So ist es auch nur mit zwei schwarzen Seiten vertreten und lädt ein, die Ausstellung zu besuchen.
Jörg Jewanski