Norbert Schloßmacher (Hg.)

Beethoven

Die Bonner Jahre

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau
erschienen in: das Orchester 06/2021 , Seite 61

Bevor Beethoven im Herbst 1792 nach Wien zog, verbrachte er, von kürzeren Reisen abgesehen, die ersten 22 Jahre in seiner Heimatstadt Bonn. Hier wirkte er bereits ab 1784 als zweiter Hoforganist, ab 1789 auch als Bratschist im Hoforchester des aufgeklärten und musikbeflissenen Kurfürsten und Erzbischofs Maximilian Franz sowie als vielseitiger Pianist und Klavierlehrer. Bonn war trotz seiner beschränkten Größe (in Beethovens Geburtsjahr 1770 hatte die Stadt etwa 12000 Einwohner) ein sozial und kulturell enorm vielfältiger Ort.
Der von Norbert Schloßmacher, dem Leiter des Bonner Stadtarchivs, herausgegebene voluminöse Band lässt das Bonn der Jugendjahre Beethovens überaus lebendig werden. Er leistet eine umfassende Darstellung von Beethovens Biografie und Bildungswegen im Zusammenhang der Bonner gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen jener Jahre. Manchen Menschen, die er dort kennenlernte, blieb er bis in seine letzten Jahre verbunden.
17 in der Beethoven-Forschung ausgewiesene Autorinnen und Autoren beschäftigen sich eingehend mit speziellen Gegebenheiten und Personen. Die insgesamt 19 Beiträge sind gruppiert in die Rubriken „Anfänge“, „Voraussetzungen“, „Zeitgenossen, Freunde, Wegbegleiter“, „Weichenstellungen“ und „Fortwirken“. Auf der Grundlage umfangreicher Recherchen in diversen Archiven erweitern die Texte die zahlreichen bisherigen Forschungsarbeiten um viele neue Einsichten und Ergebnisse. Beispielsweise korrigiert Helmut Loos den bisher meist behaupteten starken Einfluss von Christian Gottlob Neefe als Lehrer auf Beethoven; Dieter Haberl klärt mit detektivischer Akribie die Dauer und die Umstände von Beethovens erster Reise nach Wien 1786/87.
Viele aufschlussreiche Befunde erbringen auch die anderen Beiträge, die mit ihren Autorinnen und Autoren hier nicht einzeln genannt werden können. Die Lektüre der Texte ist durchweg spannend und regt immer wieder dazu an, das von Beethoven in seinen Bonner Jahren Erlebte und Gelernte auf die Bedeutung für sein späteres Schaffen hin zu beziehen. Reiches Anschauungsmaterial liefern hervorragende Reproduktionen vieler zeitgenössischer Abbildungen von Personen, Örtlichkeiten und Dokumenten.
Je nach Interesse können die Texte einzeln gelesen werden, da jeder die zum Verständnis des jeweiligen Zusammenhangs nötigen Fakten liefert. Wer sich das gesamte Buch vornimmt, bemerkt zahlreiche Wiederholungen und Überschneidungen. Hierfür wäre ein Glossar mit für alle Beiträge nützlichen Erläuterungen hilfreich gewesen. Auch ein Sachregister sowie Informationen zu den Beitragenden hätten den Band benutzerfreundlich bereichert. Die Genitivbildung „des jungen Beethovens“ im Titel eines Aufsatzes hat offenbar im Lektorat keinen Anstoß erregt. In der Hauptsache aber verdienen die Leistungen, die diesen Band ermöglicht haben, hohe Anerkennung. Er bereichert die Forschung um eine weitgespannte profunde Sicht auf Beethovens frühe Zeit im Rheinland und deren Nachwirkungen in seinen Wiener Jahren.
Ulrich Mahlert