Matthias Henke

Beethoven

Akkord der Welt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carl Hanser
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 82

In gleich mehrerlei Hinsicht besticht diese (weitere) pünktlichzum Jubiläumsjahr vorgelegte Beethoven-Biografie. Zum einen ist dadie Entscheidung, nicht rein chronologisch-linear zu erzählen, sondern in der Ordnung der Kapitel gleichsam ein Panorama aufzumachen an biografischen Kern-Momenten und spezielleren Nebenaspekten, um in diesen jene gleichsam zu kommentieren und anzureichern. Zum andern setzt Matthias Henke darauf, mittels höchst detailreicher Hintergrunds- Recherchen auf (mögliche) Einflussgrößen und Wirkzusammenhänge für die Entwicklung Beethovens als Person und Künstler zu verweisen. Es ergibt sich so eine akribische Spurensicherung bezogen auf faktische Gegebenheiten eines immer zu bedenkenden historisch-gesellschaftlichen Kontexts. Wobei der Autor aus all diesen Einzelheiten, Faktoren und Bezügen zugleich immer wieder Rückschlüsse gewinnt, die größerenteils ausformuliert werden (durchaus auch in Form von Vermutungen); die zu ziehen aber eben solcherart auch dem Leser obliegt. Und schließlich ist es der leichtgängige Erzählton Henkes, der nahe am mündlichen Vortrag rangiert und der so etwas wie einen Lektüre-Sog bewirkt. Insbesondere aber überzeugt die in allem durchscheinende Ambition des Autors, anstelle überkommener Wertungs-Klischees (Heros, Revolutionär, nationales Idol) argumentativ gesicherte Deutungsfacetten für ein zeitgemäßes Beethoven-Bild anzubieten. Und zusammenfassend dafür zu plädieren, das kompositorische Werk als eine Art Gegenklang zu verstehen, der seismografisch auf das politische, gesellschaftliche, ästhetische Zeit-Geschehen rea gier t(e). Die insgesamt 21 Kapitel halten in gleichsam erzählerischer Lupeneinstellung zahllose (vermeintlich unscheinbare) Details und (sich doch als relevant erweisende) Beobachtungen bereit: gleich eingangs etwa bezogen auf die legendäre Wiener Begräbnis-Prozession oder auch das Berlin der Zeit als kaum angemessen wahrgenommene „Beethoven- Stadt“; zudem den Stellenwert der engeren menschlichen Beziehungen betreffend, in denen Beethoven stand (Familie und Freunde), seine Position zwischen Adel und Revolution, sein Verhältnis zu anderen Künstlern (z. B. Haydn und Goethe) oder auch die besondere Beziehung zwischen dem Komponisten und Russland; und schlussendlich aktuelle(re) Rezeptions Aspekte thematisierend, so u. a. das „Resound-Projekt“ des Orchesters Wiener Akademie und „Beethoven im Film“. Die Überschrift zum Kapitel über den heranwachsenden Komponisten in Bonn – „Die Innenwelt der Außenwelt“ – lässt sich als leitendes Motto für das hier (vor allem auch für die Wiener Jahre) realisierte Darstellungs- Konzept erkennen: äußere Umstände und Beweggründe zu interpretieren als fortwährende Impulse für persönlich-künstlerische Lern- und Entwicklungsprozesse. Fazit: Eine Biografie, die einleuchtend neue Akzente setzt und die Wahl unterschiedlicher (mitunter eben auch a-chronologischer) Lesepfade hinein in die biografischen Zusammenhänge offenlässt. Selbstredend, dass dieserart Lektüre denn auch das Hören Beethoven’scher Musik neu anzuregen und auszurichten vermag.

Gunther Diehl