Stefan Siegert

Beethoven

100 Seiten

Rubrik: Buch
Verlag/Label: Reclam
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 62

Schier unerschöpflich scheinen die schriftlichen und tönenden Betrachtungen über Leben, Werk, Wirkungsorte, persönliche Verhältnisse, historische Geschehnisse jenes „Weltkindes voller Musik“ zu sein, das in allen musikalischen Gattungen wahrlich Überragendes leistete, auf den Namen Ludwig van Beethoven hört und in diesem Jahr anlässlich seines 250. Geburtstags weltweit gebührend gefeiert und gewürdigt wird.
Zu jenen, die in die Seelentiefen des Jahresjubilars einzudringen versuchen, gehört nun auch der Autor Stefan Siegert, der für das Beethoven-Jahr unter anderem verschiedene Radiofeatures konzipiert hat und mit seinem Reclam-Büchlein Beethoven. 100 Seiten auf eben diesen dem Klassikheroen auf die Spur kommen möchte. Wird dabei bislang Unerforschtes zu Tage gefördert, Bekanntes neu gesichtet und gewichtet? Schnell wird bei der Lektüre klar, dass Autor und Verlag weder eine chronologische Lebens- und Werkbeschreibung noch eine fachwissenschaftliche Studie vorlegen wollten, sondern ein allgemeinverständliches, jedoch fachlich fundiertes, mit zeitgeschichtlichen und philosophischen, finanzökonomischen und mäzenatischen Betrachtungen nicht geizendes Kompendium für den Musikfreund. Ihm erspart er weitgehend tiefschürfende Analysen ausgewählter Werke, liefert stattdessen seine sehr persönlich gehaltenen Erlebnisse und Erfahrungen etwa mit der Eroica, Pastorale oder Neunten, dem Fidelio sowie mancher Klaviersonate oder Streichquartett. Das alles ist unterhaltsam, mit anekdotischen Zutaten nicht geizend und mit einem Hang zum heutigen wortsaloppen Zeitstil geschrieben. Dabei wird der Komponist erfreulicherweise vom Piedestal gehoben und gleichsam zum Menschen. Der Gegenstand des ersten Kapitels „Weltkind der Musik“ „ist neunzehn, ein vielversprechender Geiger, Bratscher, Klavierspieler und Organist in der Hofkapelle des Kurfürsten in Bonn“. Und schon ist der Leser mitten im prallen Menschenleben des 18. Jahrhunderts – einer vom Epochenwechsel (Französische Revolution von 1789 mit ihren Zielen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) erschütterten Zeit, in der sich der rebellische Ludwig van B. zum revolutionären Komponisten entwickelt. In den anderen Kapiteln sind weitere Lebenswendepunkte und künstlerische Umbrüche einprägsam thematisiert. Da wird die Familienchronik detailreich aufgeblättert, wobei die Trunksucht der Ahnen genauso wenig ausgespart bleibt wie deren unglückliche Ehen sowie die zeitlebenslangen zahlreichen Wohnungsumzüge. Ein Tummelplatz für Siegerts psychologische Fingerzeige auf die späteren Lebensjahre in Wien. Nicht weniger analytisch werden Beethovens Beziehungen zu Majestäten, Adligen, Dichtern, Komponistenkollegen  Freunden und tonsetzerischen Vorbildern ausgeleuchtet. Wie schön und gedankenbefördernd, dass der Autor bekannte Fakten oftmals in neue Zusammenhänge bringt. Lebens- und Schaffenskrisen werden beim Namen genannt. Insgesamt eine lohnenswerte Lektüre.

Peter Buske