Thomas Leibnitz (Hg.)

Beethoven

Menschenwelt und Götterfunken

Rubrik: Buch
Verlag/Label: Residenz
erschienen in: das Orchester 06/2020 , Seite 61

„Er wird nie was Ordentliches machen“, soll sein Lehrer Johann Albrechtsberger über ihn gesagt haben. Nun, wir wissen es inzwischen besser. Joseph Haydn hatte ein anderes Wort für seinen selbstbewussten Schüler und sprach über ihn als „Großmogul“. Es wird noch zahlreiche andere Begriffe gegeben haben, mit denen versucht wurde, Ludwig van Beethoven zu beschreiben. Soviel ist jedoch gewiss: Beethoven, das Genie zwischen Licht und Schatten, der Freigeist, dem man Eigenbrötlertum und ein bisweilen mürrisches Wesen zuschrieb und der doch bei seiner Ankunft in Wien erst einmal Kleidung und Perücke kaufte und sich anschickte, Tanzunterricht zu nehmen, um ein würdiges Mitglied der ehrwürdigen Gesellschaft zu werden, ist vor allem eines nicht – eindeutig fassbar. Die vorliegende Sammlung von Aufsätzen, die eine Ausstellung gleichen Titels begleitete, die bis zum 19. April in der Nationalbibliothek Wien zu sehen war, bringt dem Leser nicht nur manche Facette von Beethovens Persönlichkeit nahe, sondern nimmt ihn mit, einige Kapitel seines Lebens sehr anschaulich zu betrachten. Viele Originalzitate aus Briefdokumenten von Beethoven selbst, aber auch von seinen Zeitgenossen – darunter Mäzene, Bewunderer und Kritiker –, tragen dazu bei, Beethoven als Mensch unter Menschen zu erleben. So ist ein Beitrag dem Verhältnis zu seinem Freund Nikolaus Paul Zmeskall von Domanovecz gewidmet. Ihm teilte er in für ihn untypischem Vertrauen seine Gedanken zum Alltagsleben mit all seinen Bedürfnissen und Sorgen mit, zog ihn zu Rate, wenn es um häusliche Organisation, Personalfragen oder die Kosten für ein neues Paar Stiefel ging.
In anderen Zusammenhängen erfährt man, dass Beethoven ein harter Verhandlungspartner mit seinen Verlegern war und um hohe Honorare kämpfte. Denn davon lebte er hauptsächlich. Zwar lieferte ihm seine Tätigkeit als Klavierlehrer ein Zubrot, doch war das wohl eine Arbeit, die nicht an erster Stelle seiner Lieblingsbeschäftigungen stand. Die schöpferische Betätigung jedoch fiel ihm keineswegs ohne Anstrengung zu. Beethovens Vorgehensweise beim Komponieren wird im wahrsten Sinne skizziert: Das Autograf aus seinem „Leonoren-Skizzenbuch“ gibt ein Zeugnis, wie der lange Weg vom Einfall bis zur sorgfältigen Ausarbeitung eines Notentextes gestaltet ist. Das Buch, obwohl großformatig, kommt angenehm leicht daher.
Die Aufsätze sind allesamt in einem gut lesbaren Umfang verfasst und wunderbar illustriert: Neben Bildnissen der Personen, mit denen Beethoven in seinem Leben zu tun hatte, sind Notenseiten, Titelblätter, Briefe und Ansichten von Gebäuden in Wien zu betrachten. Es gibt im Anschluss noch einen gesonderten Katalogteil, der nach Themen wie „Kammermusik“, „Freunde“, „Politik“ oder „Mythos“ geordnet ist, sowie eine Auflistung der Objekte, die in der Ausstellung zu sehen waren. Nur eines vermag auch dieses Beethoven-Buch nicht: Das Geheimnis über die „unsterbliche Geliebte“ endgültig zu klären, auch wenn das Kapitel hierzu viel Stoff liefert. Zum Glück umgibt Beethoven immer noch ein Rest Mythos.
Sabine Kreter