Bassoon Steppes

Werke von Alexander Skrjabin, Dimitrij Schostakowitsch, Nikolai Rimsky-Korsakow und anderen Lola Descours (Fagott), Paloma Kouider (Klavier)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Orchid Classics
erschienen in: das Orchester 10/22 , Seite 73

Ja, gut, die Vielzahl der Originalkompositionen für die Duobesetzung Fagott und Klavier ist sehr überschaubar und alle Sonaten, Sonatinen und Sarabanden sind bereits vielfach von berufenen Musizierenden eingespielt worden. Dies wird sich auch die mit bedeutenden Preisen ausgezeichnete Fagottistin Lola Descours gedacht haben. Ihre Liebe zur Musik der großen Komponisten Russlands führten zu der ungewöhnlichen Entscheidung, auf ihrem Debütalbum Bassoon Steppes hauptsächlich Arrangements zu präsentieren. Das von ihr erwählte Repertoire umfasst Kostbarkeiten aus mehr als zwei Jahrhunderten: von Glinka über Tschaikowsky, Skrjabin, Schostakowitsch, Rachmaninov bis hin zur zeitgenössischen Komponistin Lera Auerbach. Und das kluge Kalkül ist vollendet aufgegangen, denn Lola Descours kann ihren wunderschönen Fagottklang in allen Farben ausspielen.
Ihre Neugierde, ihre Leidenschaft und Energie führen dazu, dass die Hörerschaft die unendlichen Weiten (Steppes), die sich nun auftun, nachempfinden kann. Grundsätzlich lyrisch und elegant angelegt sind ihre Interpretationen, wie beispielsweise die in Tschaikowskys Nocturne op. 19, von Descours so zart gespielt, dass man das eigentlich dafür vorgesehene Cello so gar nicht vermisst. Jedoch nicht alles ist so zärtlich: In den Klavierpräludien op. 34 des zur Zeit der Entstehung noch jungen Schostakowitsch wird durch die Ergänzung mit den zum einen burschikosen, zum anderen klagenden Farben des Fagotts vieles spürbar, was dieser innerlich zerrissene russische Genius in den großen Fagottkadenzen seiner Sinfonien später zum Ausdruck brachte.
Die Originalkomposition I Walk Unseen, eine Air für Fagott und Klavier der russisch-österreichischen Komponistin, Pianistin und Autorin Lera Auerbach, hat Lola Descours für ihr Album in Auftrag gegeben. Hier zeigt sie als Solistin ihre gesamte technische Brillianz auf und verwandelt das in kontrollierter Ekstase und mit höchster Flexibiltät musizierte Werk in eine düstere melancholische Arie, die im Nichts vergeht. Es wäre zu hoffen, dass dieses zauberhafte Musikstück bald auf den Repertoirelisten erscheint.
Die meisterhaft gefühlvoll mitgestaltende Pianistin Paloma Kouider ist Lola Descours optimale musikalische Partnerin auf Augenhöhe – sie schwingen und atmen gemeinsam und schaffen einen trunken machenden Wohlklang.
Lola Descours ist auch eine Suchende: Nach zehn Jahren Mitgliedschaft im Orchestre de Paris war sie Solo-Fagottistin des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und spielt nun in Rotterdams Philharmonisch Orkest auf selbiger Position. Es mag sein, dass sie ihre musikalische Heimat nun gefunden hat. Ihre Suche nach gedanklichen Weiten war mit ihrem Debütalbum ohne Zweifel sehr erfolgreich.
Holger Simon