Werke von Johann Theile und Sebastian Theile

Barock trifft Moderne

Sebastian Theile (Klarinette), ­Hamburger Ratsmusik, ­Marteau ­Ensemble, Meininger ­Hofkapelle, Ltg. Chin Chao Lin

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Thorofon CTH 2655
erschienen in: das Orchester 07-08/2019 , Seite 70

Ein wenig seltsam ist das Konzept dieser CD schon: Barock trifft Moderne lautet ihr Titel, eine Gegenüberstellung, die auf einer rein zufälligen Namensverwandtschaft beruht. Hier Musik des Hamburger Barockkomponisten Johann Theile (1646-1724), dort Werke des Zeitgenossen Sebastian Theile. Hinzu kommt: Die siebenminütige Kantate Gott hilf mir, denn das Wasser ist das einzige Werk des hier vertretenen Johann Theile. Ihr gegenüber stehen mit längerer Spielzeit zwei Kompositionen von Sebastian Theile und eine von Eberhard Klemmstein (*1941).

Vielleicht hätte es gereicht, die Einspielung als das zu präsentieren, was sie ist: ein Vermächtnis des viel zu früh verstorbenen Komponisten Sebastian Theile (1969-2014), der zugleich Soloklarinettist der Meininger Hofkapelle und künstlerischer Leiter des Klassikfestivals Musiksommer Bad Liebenstein war. Dem Anlass angemessen eignet der gesamten CD ein Gestus des Leidens und der Vergänglichkeit. Theiles barocke Kantate ist erfüllt von pietistischer Inbrunst und eine spannende Entdeckung, die vom Ensemble „Hamburger Ratsmusik“ und der Sopranistin Hedwig Westhoff-Düppmann in gedeckten Farben und mit gemäßigtem Temperament musiziert wird.

In der Fantasie über ein Thema von Joseph Haydn für Klarinette und Streichquartett von Eberhard Klemmstein, einem Erlanger Komponisten und Bratscher, kommt dann Sebastian Theile als lyrisch gestimmter Solist zu Wort. Das Stück versteht sich als Ergänzung zu den Werken von Mozart und Brahms für die gleiche Besetzung und variiert Haydns berühmteste Melodie aus dem Kaiserquartett, besser bekannt als deutsche Nationalhymne. Die freilich erkennt man in dem spätromantischen, chromatisch aufgeladenen Werk nur allmählich, was die Spannung bis zum Ende hoch hält. Klemmstein greift stets nur Fragmente auf, bis das Lied mit zunehmender Spieldauer doch immer deutlicher zutage tritt. Modern ist diese Fantasie nicht, aber stimmungsvoll und handwerklich hervorragend komponiert.

Gleiches gilt für die Kompositionen von Sebastian Theile selbst: eine Begegnung für Klarinette solo aus dem Jahr 2012, die in trockener Zimmerakustik aufgenommen wurde, und die viersätzige Suite …so fährt unsere Zeit von hinnen für großes Orchester mit der Meininger Hofkapelle unter Leitung des jungen taiwanesischen Dirigenten Chin Chao Lin, der seit 2018 Generalmusikdirektor am Theater Regensburg ist und zuvor erster Kapellmeister in Meiningen war. Die „Sinfonische Auseinandersetzung“ arbeitet effektvoll mit Orgelpunkten und motorischer Rhythmik und pendelt auf eigenartige Weise zwischen einem eher freitonalen Satz und neobarocken Passagen, um kurz darauf zu glühender Romantik umzuschwenken. Zentral sind die von Satz zu Satz verschiedenen Anleihen bei großen Meistern von Brahms über Schostakowitsch bis Richard Strauss. Sebastian Theile hat sein Stück selbst wohl nicht mehr gehört: Es wurde post mortem im August 2015 aufgeführt.

Johannes Killyen