Fazıl Say/ Robert Schumann

Ballads & Quintets

Fazıl Say (Klavier), CasalQuartett

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 04/2021 , Seite 74

Auf seiner neuen CD präsentiert der international renommierte türkische Pianist Fazıl Say eigene Kompositionen und Robert Schumanns Klavierquintett op. 44. Die Aufnahme realisierte er gemeinsam mit dem CasalQuartett.
Drei kürzere, ursprünglich für Solo-Klavier geschriebene Balladen, entstanden zwischen 2001 und 2020, hat Say speziell für diese Aufnahme instrumental arrangiert. Die Streicher bringen Farbigkeit in die liedhaft-strophischen Kompositionen, die melodisch von einer fast unschuldigen Naivität mit melancholischem Unterton geprägt sind, und unterstreichen mit ihrem Klangvolumen gern das gelegentlich aufflammende Pathos. Im Hintergrund verbergen sich jeweils Geschichten, sei es die Poesie Nâzim Hikmets, die Geburt von Says Kind oder die Idee, Trost und Lebensglaube in ein geschundenes Stück Natur zu tragen.
Eine viel größere Palette musikalischer Erzählfülle und Farben hält das im Charakter freiere Quintett The Moving Mansion in vier Sätzen bereit. Auch hier erblühen durch die Instrumentation des ursprünglich für Klavier geschriebenen Stücks Lebendigkeit und Farbigkeit, und auch das rhythmisch-tänzerische Potenzial der Komposition kann sich volle Geltung verschaffen. Im Hintergrund steht diesmal die Geschichte des Landhauses von Mustafa Kemal Atatürk, dem Begründer und ersten Präsidenten der türkischen Republik, dessen starke Beziehung zu Natur, Kunst und Musik legendär sind. In der Nähe von Istanbul baute Atatürk sich im Schatten einer Platane eine Holzvilla. Nach einiger Zeit drohte der Baum, mit seinen Wurzeln und Ästen das Haus zu zerstören. Daraufhin entschied sich Atatürk dafür, nicht etwa den Baum zu fällen, sondern das Haus versetzen zu lassen. Baum und Haus stehen noch heute.
Mit dem Einsatz der Streicher bringt Fazıl Say zahlreiche belebende Effekte ein, die insbesondere die mit der Geschichte in Verbindung stehenden Naturphänomene evozieren, an Vogelzwitschern oder insektenhaftes Schwirren erinnern und die Urgewalt von Naturkräften illustrieren. Das Werk ist ebenso wie die drei Balladen für den Hörer sehr direkt zugänglich. Melodisch und harmonisch tonal geprägt, erscheint es mit ausgewogener Phrasierung in neoklassischer Gestalt. Die Einspielung der Stücke gründet sich im Ansatz auf Direktheit und Spielfreude, satten Sound und ungebremste Emotionalität. Nur an ausgewählten Stellen blitzt ein wenig von dem orientalischen Kolorit durch, welches bei der regional verankerten Thematik vielleicht zu erwarten gewesen wäre.
Die zweite Hälfte der CD bestimmt Schumanns bekanntes Klavierquintett Es-Dur op. 44. Das energetische Wechselspiel zwischen Streichquartett und Klavier kommt auch hier gut zur Geltung. Jedoch verlieren sich die Streicher oftmals in Kurzatmigkeit. Die Wahl der Klangfarben ist stets recht offen und direkt, die Spielästhetik des Quartetts sehr dem Moment verhaftet. Das Bedürfnis nach weit und tiefer blickender Gestaltung und eine etwas indirektere, offenere Farbwahl ist dagegen der Spielart Says anzumerken, der auch subtilere Klangregister zieht. Insgesamt bleibt bei dieser Interpretation ein etwas oberflächlicher Eindruck stehen.
Anja Kleinmichel