Rott, Hans

Balde ruhest du auch! / Symphonie in E-Dur

Lieder-Reise für Bariton und Orchester

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 1803
erschienen in: das Orchester 12/2014 , Seite 75

Dunkel, spannungsgeladen, eine unheimliche Ruhe verströmend: Die fein nuanciert agierenden Münchner Symphoniker weben den farbenreichen Teppich, auf dem alsbald Michael Volle mit ruhigem Schritt und behutsam-flexibel geführtem Bariton seine Reise in die musikalische Transzendentation des Spiels mit dem Ewigen antritt. Schnell wird die Hörerin sich dieser Reise zugesellen, denn in der großartigen Ruhe, dem langen, langen Atem, den sowohl Sänger als auch Orchester verströmen, fühlt man sich mitgetragen, mitgeweitet. Feine Farbumschwünge im beeindruckend ausbalancierten Dur-Moll-Vexierspiel erscheinen wie changierende Lichtreflexe. „Hans Rott sitzt in der Irrenanstalt vor einer weißen Wand, schattenhaft gleiten Momente seines Lebens an ihm vorüber und verschwinden im Nichts…“, so Eva Gesine Baur im Booklet: romantisch-vertraute Todessehnsucht („Warte, balde ruhest du auch!“) musikalisch im Zeitbezug teils kühn-visionär, teils der Tradition hörbar verhaftet und doch das kurze Leben eines wohl zwischen Genie und Wahnsinn irrlichternden hochbegabten jungen Mannes aufflackernd charakterisierend.
Fürwahr, die behutsame Orchestrierung und Adaption von Hans Rotts (Klavier-)Lieder-Reise durch Enjott Schneider „analog zu Schuberts Winterreise von Hans Zender“ berührt, verführt zum faszinierten Hinlauschen, zum gleichzeitigen Bedauern, dass des Komponisten Leben nur so kurz währte, dass sein Werk – bereits des 20-Jährigen!, wie sich dann bei der E-Dur-Symphonie zeigen wird – schon so voll, so reif, aber auch so schillernd, im positiven Sinne überspannt erscheint.
In der vorliegenden Einspielung wähnt man sich beim Hören überrascht und fasziniert zugleich auf Entdeckerreise: Das Orchester, transparent und vollfarbig von Hansjörg Albrecht geführt – fast ist man geneigt, „verführt“ zu sagen –, nimmt mit der spürbar eigenen Faszination für diesen fast vergessenen Komponisten gefangen, lässt teilhaben am großartigen Erlebnis der Zeitenwende. Rott, von Bruckner als dessen „ausgezeichnetster Schüler“ bezeichnet, schöpft aus dem Intuitiv-Genialen, blickt kompositorisch mit Selbstverständnis zurück und zugleich nach vorn, entwickelt eine ganz eigene Klangsprache, die die Münchner Symphoniker empathisch ausarbeiten und gleichsam wie staunend neu entstehen lassen. Immer wieder meint man, Gustav Mahler durch den Klang atmen zu hören – nun, Hans Rott gehörte zu dessen Kreis. Und dennoch ist seine 1880 komponierte Symphonie ein eigener Meilenstein, zu neuem Leben erweckt durch ein vorbildlich agierendes Orchester.
Und was haben Sie mit 20 Jahren gemacht? Wenn Sie zu den Früh-Mahler-Hörern gehören, brauchen Sie diese CD. Alle anderen dürfen sie aber auch hören!
Christina Humenberger