Uwe Schweikert

„Bald sind wir aber Gesang“

Essays zu Oper, Musik und Literatur

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Metzler/Springer Nature
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 60

Insbesondere das Interesse an selten gespielten und in ihrer Originalität verkannten Werken des Musiktheaters habe sein Schreiben über Musik seit jeher geleitet, so Uwe Schweikert in einer Nachbemerkung zu den hier vorgelegten Essays, die anschließen an den 2018 erschienenen Text-Band Erfahrungsraum Oper. Portraits und Perspektiven. Und die Lektüre bestätigt auch diesmal: Der Autor versteht es höchst anschaulich, die ungebrochene Faszination des Gesamtkunstwerks Oper zu vermitteln.
Anregend und anspruchsvoll, erkenntnisreich und, ja, unterhaltend liest sich all das; gerne lässt man sich also hineinführen in Zusammenhänge, nimmt Neben-Spuren auf und entdeckt so bislang nicht gekannte Zugänge. Dabei sind der Gruppe von insgesamt 25 konzentrierten Werkanalysen nicht von ungefähr zunächst grundsätzliche Überlegungen zum spannungsvollen Verhältnis von Literatur und Musik vorangestellt – ist Schweikert doch von Hause aus Musikwissen-schaftler, Historiker und als Germanist u. a. auch Herausgeber der Schriften von Hans Henny Jahnn und Ludwig Tieck.
So lotet er zum einen in acht werkbiografischen Porträts die Wirkung von Musik auf literarische Produktionen exemplarisch aus (etwa bei Honoré de Balzac, Jahnn, Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder) und geht zum anderen der Wirkung von Literatur auf kompositorisches Schaffen nach (hier am Beispiel der Rezeption von Schillers Dramen oder die Lyrik Hölderlins betreffend, dessen später Hymne Friedensfeier auch das Zitat im Buchtitel entstammt).
Denkbar vielfältig und weitgespannt dann das Spektrum der besprochenen Opern selbst. Als über die Jahrzehnte höchst produktiver Essayist kann Schweikert hier aus dem reichen Fundus eigener Texte schöpfen. Selbstredend, dass Mozart-Opern gleich mehrfach bedacht sind; bezeichnend indes, dass zugleich fünf Texte wenig aufgeführte Frühwerke Verdis thematisieren, z. B. das Melodramma giocoso Un giorno di regno (1840) und die im Revolutionsjahr 1848 uraufgeführte Oper Il corsaro.
In der Textfolge dieses Opern-Panoramas begegnen einem zwar auch geläufig(er)e Werke – etwa Rossinis Il barbiere di Siviglia, Wagners Tristan und Isolde oder Strauss’ Frau ohne Schatten. Im Sinne des eingangs zitierten Diktums allerdings kommt denjenigen Texten besonderer Stellenwert zu, in denen der Autor über Schumanns Oratorien schreibt sowie über George Enescus großartige Tragédie-lyrique Œdipe und Frank Martins Opern-Oratorium Le vin herbé, ein „Solitär zwischen den Gattungen“.
Ganz gleich, wie man den Lektüre-Einstieg nun wählen mag: Stets gibt es da Entdeckungen zu machen und Erhellendes zu erfahren über Musik, Literatur und Oper, Entstehungskontexte und musikalisch-dramaturgische Aspekte. Und nicht zuletzt ist es jene Einsicht, die beim Lesen der Essays genauso eindringlich wie variantenreich zu gewinnen ist: Das Miteinander von Libretto und Musik bedeutet eine prinzipielle gestalterische Herausforderung, für die jede Oper eine jeweils ganz eigene ästhetische Lösung bereithält.
Gunther Diehl