Elke Kamprad

Baden-Baden: Energie aussenden

Antrittskonzert von Heiko Mathias Förster bei der Philharmonie Baden-Baden

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 12/2022 , Seite 54

Heiko Mathias Förster ist neuer Chefdirigent der Philharmonie Baden-Baden. Für sein Antrittskonzert hat er „absolut mit Absicht“ große Meister gewählt: Mahler, Tschaikowsky, Brahms. Sein Publikum möge mit vertrauter Musik „den Kopf freikriegen“ in den aktuell schwierigen Zeiten. „Den Beruf des Dirigenten“, sagt Förster, „macht ja nicht das Taktschlagen aus.“ Er sehe sich vielmehr als Psychologe, der mit vielen Menschen zu tun habe und eine hohe soziale und kommunikative Kompetenz mitbringen müsse. „Im besten Fall kann ein Dirigent eine Energie aussenden, die die Orchestermusiker aufnehmen und gemeinsam in die Interpretation des Orchesterwerks einbringen können und die dann dem Publikum ans Herz geht“, so Försters Selbstverständnis. Den Konzertbeginn macht er mit Mahlers „Adagietto“. Schon mit dem ersten Bratschenton im vierfachen Pianissimo könne jeder nach aller Hektik des Tages „zur Ruhe kommen“, erklärt Förster. Wiewohl, im Konzert gibt es diesen ätherischen, sich unendlich leise entfaltenden Ton nicht. Überhaupt setzt das Orchester eher auf sichere Lautstärken als auf gewagte Extreme.
Tschaikowskys Violinkonzert startet Förster fein und spannungsvoll zugleich. Sofort entsteht größte Aufmerksamkeit für Kyrill Troussov und seine rasante, virtuose und tollkühne fingertechnische Höchstleistung, die dieses Solokonzert verlangt. Der Geiger, dem Tschaikowsky dieses Werk einst vorlegte, verweigerte die Uraufführung, weil die Solopartie unspielbar sei. Heute haben dieses Werk alle guten Geiger im Repertoire. Doch Troussov kann nicht nur mit Trillern, Doppelgriffen, Tonskalen und Springbogen aufwarten, sondern auch warm auf seiner Geige singen. Die Musik steht über der Technikbeherrschung. Geschmeidig und natürlich bietet Troussov Melodiöses, die Kadenz hat Spielfreude und der Satzschluss Schmackes. Den zweiten Satz spielt Troussov musikantisch und mit elegantem Schmelz. Das Orchester ist hörender, wissender und anspornender Begleiter. Die Schlussstretta bringt staunendes Lachen ins Publikum. Mit Paganinis Variationen zu Mein Hut, der hat drei Ecken und Massenets Thaïs-Variationen kommt Troussov dann endgültig bei der Hitliste der meistgehörten Geigenstücke an. Troussov spielt übrigens die Stradivari, mit der Adolph Brodsky 1881 auch Tschaikowskys Violinkonzert uraufführte.
Brahms’ 2. Sinfonie nennt man in Baden-Baden „Die Lichtentaler“, weil Brahms sie im Vorort Lichtental fertiggestellt hat, in dem „hübschen Haus am Hügel“. Auch im Weinbrennersaal hat Brahms konzertiert. Heute spielt dort die Philharmonie Baden-Baden.
Förster dirigiert sachlich, kontrolliert und konzentriert, ohne Schnörkel und Ekstase. Brahms erklingt ernsthaft und kraftvoll, geerdet und verankert in tiefschürfender Kontrapunktik. Die Streicher entfalten einen satten Wohlklang, die Bläser setzen auf ein ungefährliches Mezzoforte. Ein verzauberndes Pianissimo, zarte Verzögerungen oder ruhiges Verklingen im Phrasenende wären schön gewesen. Freundlich taucht die unbeschwerte Oboenmelodie im 2. Satz auf. Im schwungvollen Tutti mit Drive gibt es im 4. Satz den großen musikalischen Optimismus als Schlussstatement.