Christoph Wolff

Bach vocal

Ein Handbuch

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Carus
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 65

Der namhafte Bach-Forscher Christoph Wolff hat mit seinem als Handbuch deklarierten opus novissimum eine wahre Fleißarbeit vorgelegt, ja, durchaus auch ein Erbsenzählen – in positiver Konnotation! In dem Buch finden sich, wie er sie nennt, „Basisinformationen“ zum kompletten Vokalwerk Johann Sebastian Bachs, zusammengestellt mit dem Ziel, Wechselbeziehungen zwischen den Kirchenkantaten, Oratorien, Passionen, Motetten, der lateinischen Kirchenmusik und der weltlichen Kantaten aufzuzeigen, sowohl die offensichtlichen als auch die „subterranen“.
In den jeweiligen Einleitungskapiteln gibt es eine kurze Einführung in die betreffende Gattung, die Wolff sowohl musikgeschichtlich als auch biografisch verortet. So etwa im ersten Kapitel, das sich mit den (leider nur zu einem geringeren Teil überlieferten) geistlichen Kantaten für das Kirchenjahr befasst und, in liturgischer Abfolge, den 1. Advent und damit die Versionen von BWV 61 und 62 Nun komm, der Heiden Heiland sowie BWV 36 Schwingt freudig euch empor folgen lässt und deren unterschiedliche Versionen und Parodien zusammenstellt – mit Hinweisen auf Bach selbst als Bearbeiter wie auch auf andere Personen, die sich mit (oft nur sehr geringen) Eingriffen in die Werke hervorgetan haben – im vorliegenden Fall und mit einem Frage- zeichen versehen der Textdichter Christoph Friedrich Henrici.
Verdienstvoll und vor allem für Praktiker interessant sind die Nachweise der zu jedem Werk und jeder seiner Versionen vorhandenen einschlägigen Neuausgaben, im obigen Beispiel jene der Göttinger/Leipziger Neuen Bach-Ausgabe (1954-2006) und der Stuttgarter Bach-Ausgabe (1992 ff.).
Eher für die Hand des Wissenschaftlers von Interesse sind die Zusammenstellungen von Besetzung, Textbeginn und Taktarten für jeden Einzelsatz in Verbindung mit Titeln, Entstehungszeit und den Namen der Textdichter. Hier sei als (willkürliches) Beispiel angeführt die aus der so genannten Ratswahlkantate entstandene Kirchenkantate BWV 69,2 – „entstanden in Leipzig, zum 26. August 1748, durch Überarbeitung der Kantate 69,1 zum 12. Sonntag nach Trinitatis […]: Satz 1, 3 und 5 mit Textänderungen über-nommen. Text: Johann Oswald Knauer“ usw.
Das Buch schließt mit einem ebenso hilf- wie umfangreichen Register zu den Besetzungen, zur Chronologie der Entstehungszeiten bzw. der Erstaufführungsdaten und zu den Textdichtern. Selbst für die aus dem Bach-Werke-Verzeichnis 1950 ausgeschiedenen Werke sind Verweisungen vorhanden. Nicht zuletzt dadurch gerät das Handbuch zu einer höchst wichtigen und unverzichtbaren Ergänzung aller bisherigen Bach-Werke-Verzeichnisse.
Ein ganz besonderes, verdienstvolles Handbuch – ja! Aber eben doch vornehmlich für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem vokalen Bach-Œuvre.
Friedemann Kluge