Michael Maul

Bach

Eine Bildbiografie

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Lehmstedt
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 62

Die Schriften des Leipziger Bachfest-Intendanten Michael Maul und die Podcast-Reihe „Die Bach-Kantate mit Maul & Schrammek“ sind für die Alte Musik Mitteldeutschlands wie ein die Farbkraft barocker Interieurs freilegender Frühjahrsputz. Sie beinhalten nicht nur eine an der Sozialgeschichte orientierte Betrachtung der Kompositionen des Thomaskantors, sondern zeigen auch die Fäden zwischen den Schwerpunkten des Leipziger Bach-Archivs, der Bach-Stadt Köthen und des Thüringer Bach-Lands mit den Wirkungsstätten der im Musikleben von Ohrdruf, Arnstadt, Meiningen, Eisenach, Mühlhausen und Weimar über Jahrhunderte omnipräsenten Familie Bach.
Natürlich kommt Maul in der neuen Bildbiografie nicht an dem berühmten Porträt von Elias Gottlob Haußmann vorbei. Dieses gehört zu den wichtigsten Dokumenten der Bach-Forschung und ziert als vertrauter Blickfänger den Schutzumschlag des gewichtigen Bands. Aber Maul stellt im Zusammenhang mit dem Konfliktgeschehen zwischen Bach und den Arnstädter Brotherren auch das Porträt eines Organisten durch einen unbekannten Künstler vor, das möglicherweise Bach, den späteren Kantor, Schulleiter, Privatlehrer, Komponist, Amtsinhaber und Familienvater, in jungen Jahren zeigt. Es wird deutlich, warum sich die Forschung auf jedes neuentdeckte Dokument aus dem unmittelbaren Umfeld Bachs stürzt. Bis heute ist sie auf nur wenige verifizierte Dokumente angewiesen. Maul kennt sich souverän aus mit allen bekannten Text- und Bildquellen. Er erwähnt lustvoll Brüche und Wissenslücken. Bachs Ehrgeiz wird ebenso deutlich wie die Anstrengungen, die seinen Anstellungen als schon in jungen Jahren hochgeschätzter Berufsmusiker vorausgingen. Die den Bildmotiven beigegebenen Texte bestätigen, wie selbstbewusst Bach im künstlerischen Wetteifern mit Georg Philipp Telemann, Gottfried Heinrich Stölzel sowie seinen Weimarer Vorgängern Adam und Johann Samuel Drese agierte.
Zu den Abbildungen gehören viele Notenautografe und Buchausgaben, Porträts von Landesfürsten wie Herzog Wilhelm Ernst zu Sachsen-Weimar oder vom Musikliebhaber Fürst Leopold von Anhalt-Köthen, Innenansichten von Kirchen wie der Weimarer Himmelsburg sowie der von den Bachsöhnen Johann Elias und Johann Lorenz angefertigte Familienstammbaum. Mit dieser Auswahl schärft Maul den Kenntnisstand über Bedingungen, unter denen das kompositorische Vermächtnis Johann Sebastian Bachs entstand. So kommt man den Konstellationen und Aufgaben zu Bachs Lebzeiten weitaus näher als durch eine werkimmanente Betrachtung.
Besonders intensiv widmet sich Maul auch hier Bachs erstaunlichem Output in den ersten Leipziger Jah-ren nach 1723. Maul benennt Lücken und relativiert waghalsige Spekulationen. So wird die Bildfülle zu dem scheinbar so vertrauten Bach-Kosmos eine biografische und historische Fundgrube, welche auch ein kleines Trostpflaster für das 2020 entfallene Bachfest „We Are Family“ darstellt.
Roland Dippel