Nicola Matteis

Ayres for the Violin in Four Parts für 3 Violinen und Basso Continuo/Second Book of Ayrs für Violine und Basso Continuo

hg. von Simon Jones/Carlo Maria Scandolo

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Walhall, Magdeburg
erschienen in: das Orchester 2/2025 , Seite 68

Es gibt wohl nicht viele Stücke, in denen ein Komponist den Schluss bewusst offen und zur Improvisation freigegeben hat. Der im 17. Jahrhundert in England hochgerühmte Violinist Nicola Matteis gibt am Ende seines Andamento malincolico (Book 2, no. 20) tatsächlich den Hinweis „divisione ad libitum“ an, um den Violinisten dazu zu animieren, eigene Variationen über einen Ground zu ergänzen. Und so fehlt tatsächlich der Schlussakkord auf dem Grundton. Genau diese Ästhetik der freien und wie improvisiert daherkommenden Einfälle macht den Reiz dieser ungemein virtuos zu spielenden Musik Nicola Matteis aus.
Der britische Musikwissenschaftler Simon Jones hat nun eine hochinteressante Erstausgabe der Werke Nicola Matteis’ herausgegeben, in denen er, nach Suiten und Tonarten geordnet, die bisher nur als Manuskript verfügbaren eigenhändigen Erweiterungen Matteis der Ayres for the Violin für drei Violinen und Basso continuo vorlegt. Denn Matteis’ Musik existiert in verschiedenen Aggregatszuständen. Während die erste Violinstimme in einem akkurat sauberen Druck vorliegt, sind die zweite und dritte Stimme nur in Manuskripten mit wenigen zusätzlich angefügten aufführungspraktischen Anmerkungen vorhanden. Insofern ist diese Edition eine wunderbare Ergänzung der Ausgabe des Second Book of Ayres, die Carlo Maria Scandolo nach dem Druck von 1676 herausgegeben hat. Natürlich besteht die Continuostimme im Originaldruck nur aus einer einzigen Basslinie und gerade Spieler:innen, die mit der Ausführung bezifferter Bässe weniger vertraut sind, sind über eine vom Herausgeber vorgeschlagene Generalbassaussetzung dankbar.
Gerade darin unterscheiden sich jedoch diese beiden Neuerscheinungen. Während Carlo Maria Scandolo auf eine Generalbassaussetzung verzichtet, ergänzt Simon Jones die Ayres for the Violin in Four Parts mit einer Aussetzung des bezifferten Basses. Offensichtlich ließ die Edition Walhall den Herausgebern bei dieser Entscheidung freie Hand. Im Druck verwendet Matteis zwei diagonale Schrägstriche, um einen Shake oder einen Triller anzuzeigen. Es ist klar, dass diese Verzierung entsprechend dem affektiven Kontext ganz unterschiedlich auszuführen ist. Der Herausgeber Simon Jones fügt dankenswerterweise im Vorwort ein paar Anmerkungen Nicola Matteis’ aus seinen The False Consonances of Musick (London, 1682) an, die einen Eindruck davon vermitteln, wie frei und mit welch affektiver Differenzierung diese Musik erklingen sollte: „Du darfst nicht immer gleich spielen, sondern mal leise und mal sanft, je nach Lust und Laune, und wenn du auf melancholische Töne triffst, musst du sie sanft und zart berühren.“
Martin Hoffmann