Peter Tschaikowsky

Auszüge aus „Der Nussknacker”

Max Müller liest „Geschichte eines Nussknackers“ von Alexandre Dumas. Münchner Symphoniker, Ltg. Kevin John Edusei

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Music SM 252
erschienen in: das Orchester 06/2017 , Seite 66

Den Nussknacker als Mischform von Musik-CD und Hörbuch herauszubringen, liegt nahe, denn so pittoresk wie Musik und textliche Vorlage sind, eignet sich die Hervorhebung des literarischen Anteils. Zunächst verwirrt dabei die Idee, den Nussknacker nicht als E.T.A. Hoffmanns „Märchen“ zu hören; zu fest verwurzelt ist der Zusammenhang mit der allerdings komplexen und teilweise düsteren Erzählung.
Genau dies Düstere ist auch das Argument der Intendantin Annette Josef, einen anderen Autor zu verwenden, der aber von Hoffmann geprägt wurde, wie schon in der Einleitung verraten wird. Die Nacherzählung von Alexandre Dumas setzt andere Akzente, das Kindliche tritt in den Vordergrund: Die Kinder sind hier die Zuhörer der Geschichte in der Geschichte. Der Text wird nun nicht durch Musik unterbrochen, sondern fortlaufend erzählt, mit gelegentlichen musikalischen Einmischungen aus den betreffenden Momenten. Ebenso ist die Musik fortlaufend auf der ersten CD eingespielt. Das ist klug wie sensibel, denn eine Dialogform zwischen Text und Musik hätte hier allzu stark in den Ballettcharakter der Musik eingegriffen.
Max Müller, der als Fernseh- und Theaterschauspieler auch bereits in Konzertproduktionen mitwirkte, gelingt eine sehr flüssige und süffige Textgestaltung, die durch einen ganz leichten Hauch österreichischer Herkunft charmant geprägt wird. Darin leuchten Momente grandioser Partien auf, wenn der Erzähler unvermittelt verlangsamt, plötzlich in dem Erzählten sich zu verlieren scheint, als verstünde er den Sinn der Worte selbst nicht mehr. Diese ausdeutende Freiheit der Textgestaltung wird kontrapunktiert durch eine klanglich gestische Brillanz in einer Musik, die den Bezug zum Tanz nie verliert. Ja, ganz im Gegenteil, die Musik beginnt selbst in präzise herausgearbeiteten Melodiegesten eine ganz eigene Klangchoreografie zu beschreiten.
Die klangrhythmische Farbenpracht, die Tschaikowsky meisterhaft beherrschte, wurde in dieser Aufnahme wirklich einmal ernstgenommen. Die Streichergirlanden ziehen wie Polonaisen durch den Orchesterklang, sie schwirren und knarzen, um mit den genau austarierten, nie grellen, sondern stets klanggesättigten Blechbläsern zu kontrastieren; Holzbläserdialoge treten ungeahnt transparent hervor, Walzerpracht kann sich ungehindert und wie ein üppiges Fauteuil federnd entfalten; Basspizzicati huschen mauskönigshaft durch die diskantenen Klangkaskaden hindurch. Hier gelingt eine erstaunliche, eine virtuose Plastizität, die an frühe Animationsfilme gemahnt, dabei aber nie ins Plakative abrutscht.
Die Münchner Symphoniker unter ihrem jungen, gefeierten Chefdirigenten Kevin John Edusei liefern Auszüge der Ballettkomposition: die Highlights des 1. und 3. Akts, der 2. Akt fehlt ganz. Dabei entsteht dennoch eine recht schlüssige Suitenform. Interessant für dieses Projekt bleibt, wer denn eigentlich die Zielgruppe ist. Sollen es Kinder – große und kleine – sein, denen Hoffmann zu düster ist? Man darf gespannt sein, wer auf die CD anspringt.
Steffen Schmidt