Carreras, José mit Màrius Carol

Aus vollem Herzen

Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Siedler, München 2011
erschienen in: das Orchester 03/2012 , Seite 70

Er ist „ganz und gar nicht“ begeistert, José Carreras zu sein. „Was mich begeistert, ist die Art, wie mich das Leben behandelt hat.“ So nachdenklich resümiert der spanische Tenor am Ende des zweiten Buchs, das über sein Leben und seine Karriere erschienen ist. Nach Singen mit der Seele (1989) nun Aus vollem Herzen, entstanden in Zusammenarbeit mit dem spanischen Journalisten Màrius Carol. Diese doppelte Autorenschaft ist dem Buch auch anzusehen: In unterschiedlichen Schriften liefert Carol, meist bewundernd, die Fakten, und Carreras, der am 5. Dezember 2011 65 Jahre alt wurde, seine „Innenansicht“ über das Singen, die Kollegen und den Fußball. Dass der bekennende Fan des FC Barcelona seinen Club im Stadion lautstark anfeuert, ohne Rücksicht auf die Stimme, erfährt der Leser, und auch, dass Carreras die Einsamkeit des Tenors vor der Arie mit der des Torwarts vor dem Elfmeter vergleicht.
Solche Einblicke in das Tun des Sängers – etwa, wie und warum er das Ende der „Blumenarie“ in Carmen leise und hoch sang – gibt es eher selten in diesem Buch. Natürlich werden alle Höhepunkte der Sängerkarriere dargestellt, aber auch Ängste (etwa die, vor der „von mir förmlich vergötterten lebenden Legende Karajan“ zu singen) und (Stimm-)Versagen wie beim Rigoletto an der Wiener Staatsoper, wo er die Partie nie wieder sang.
Carol schildert den Sänger als „überdurchschnittlich intelligent, gefühlsbetont, intuitiv, bis zur Schüchternheit zurückhaltend“, zitiert Freunde, die ihn als „Einzelgänger, der nicht allein sein kann“, beschreiben. Ziemlich pathetisch formuliert der Journalist dann vom „geradezu titanenhaften Kampf gegen die Krankheit“ Leukämie, von der Carreras 1987 erst mit Hilfe eines noch in der Entwicklung befindlichen Medikaments geheilt wurde. Der Sänger selbst schildert diese Zeit, die er schon einmal in Singen mit der Seele beschrieb, nüchterner, aber eindringlich. Rachmaninows zweites Klavierkonzert wurde zur Hintergrundmusik dieser Zeit, und ob auch seine Stimme die Krankheit überstanden hatte, erprobte Carreras allein für sich im Bad – wie als Junge, als er singend Mario Lanza nacheiferte. Nach der Krankheit sei er ein anderer Mensch geworden, zuvor habe er den Beruf selbstsüchtig ausgeübt, alles der Karriere untergeordnet. Er sei nicht besser, aber nachdenklicher, nachgiebiger, auch solidarischer geworden, schreibt der Tenor, der 2002 in Ermanno Wolf-Ferraris Sly die letzte seiner rund 60 Opernpartien sang.
Solche Lebensbetrachtungen und -einsichten erfährt der Leser in einem Gespräch zwischen Sänger und Journalist, in das dieses wie ein Doppelpass geschriebene Buch mündet.
Ute Grundmann