Wolf-Dieter Peter

Augsburg: Gestylt geschöntes Grauen

Philip Glass’ Kammeroper „In der Strafkolonie“ in Augsburg und der Aufbruch in die digitale Transformation

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 49

Eigentlich wollen wir das nicht so genau, besser gar nicht wissen, was da so in derzeitigen Unrechtsstaaten mit „Schuldigen“ passiert – oder früher in Chile, Argentinien und und und bis zurück in Tamerlans Zeiten. Doch da schreibt dieser Franz Kafka 1914 eine kleine Erzählung über eine grausige Hinrichtungsmaschine. Und Philip Glass vertont den Kern des Ganzen als „Kammerspiel“ im Jahr 2000. Parallel zu etlichen anderen Einstudierungen holte nun das Staatstheater Augsburg seine 2020 durch Corona verhinderte Premiere nach.
Typisch kafkaeske Machtverhältnisse: eine Gefängnisinsel im Irgendwo; ein neutraler Besucher als eingeladener Beobachter; ein stummer Verurteilter, von dem weder Schuld noch Urteil noch Verteidigung offengelegt werden; ein auf seine Vollzugsmechanismen geradezu manisch fixierter Offizier; eine kaum darstellbare Tötungsmaschine, die in 12 Stunden dem Hinzurichtenden erst mit Nadeln seine Schuld in die Haut sticht, ehe eine Nadel durch seinen Kopf den Tod bringt. All das hat Regisseurin Aileen Schneider mit den Ausstattern Lisa Marie Damm und Florian Parkitny in ein zwischen Naturalismus und abstraktem Symbolismus angesiedeltes Ambiente gepackt. Der durch die reguläre Eingangstür auftretende „Besucher“ (Tenor Robert Poboinyi) öffnet erst ein rot-weißes Absperrband: zu einer kleinen Spielfläche, die zwei realistische Kohlehaufen begrenzen. Die gegelte, hypergestylte Goldhaar-Frisur des Besuchers, seine dunkle Rundgläserbrille und ein rosa Marlene-Dietrich-Anzug lassen erst ein LGBT-Klischee vermuten, was aber erfreulicherweise nicht ins Werk hineingetragen wird. Wie ein Spielleiter komplimentiert er dann das Streichquintett und Dirigent Ivan Demidov ins Erdgeschoss eines dunklen Turmes. Im Geschoss darüber taumelt erst der stumme Gefangene (Thomas Berch­told mit körperlicher Gebrochenheit) orientierungslos umher.

 

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