Cornelius Frowein
Aufführungspraxis kompakt
Instrumentalmusik des 18. Jahrhunderts stilgerecht interpretieren
Die Segnungen der historischen Aufführungspraxis führen langsam, aber stetig selbst in entlegeneren Landstrichen dazu, dass der örtliche Oratorienverein für das Bach’sche Weihnachtsoratorium eher auf authentisches Instrumentarium denn auf das komplette örtliche Sinfonieorchester in seiner alltäglichen Besetzung baut, da für die Musiker eben jenes Orchesters eine theoretische Weiterbildung im Hinblick auf aufführungspraktische Fragestellungen noch immer mit ziemlichem Aufwand verbunden ist. Denn bei aller Dominanz historischer Instrumente und Spieltechniken auf dem barocken Platten- und Konzertmarkt, bei aller Präsenz auch im Jahresprogramm internationaler Spitzenorchester scheinen gerade die deutschen Musikhochschulen den Ernst der Lage noch nicht recht erkannt zu habe.
An vielen Hochschulen haben die Studenten nach wie vor schlechte Chancen, neben den Fertigkeiten auf ihrem modernen Instrument doch zumindest auch Grundlagen auf dem barocken zu erwerben; von theoretischem Wissen ganz zu schweigen. Und ja: Selbst Studenten, die ihre Ausbildung an den wenigen Hochschulen absolvieren, an denen man die historische Aufführungspraxis auf einem gewissen Niveau studieren kann, müssen ihre Quellenstudien in die Bibliothek verlegen, denn nur vergleichsweise wenige der Bücher sind online zu finden, als Faksimiledrucke oder moderne Ausgaben erschienen (und dann häufig vergriffen). Diese Problematik haben nunmehr zwei Verlage gleichzeitig erkannt.
Cornelius Frowein geht in seinem Buch auf die sechs Hauptthemenfelder Affektenlehre-Tonarten-Rhetorik, Tempo-Rhythmus-Agogik, Dynamik-Akzentuierung, Artikulation-Tongebung, Tänze des 18. Jahrhunderts und schließlich Verzierungen-Manieren ein. Jedes dieser Themen wird in seinen Worten umrissen, in die er Zitate aus verschiedenen Quellen einbaut.
Das liest sich angenehm, ist ob der kurzen Abschnitte übersichtlich und wichtige Aussagen sind durch Fettdruck als solche erkennbar. Aber auch Formatierung ist – ebenso wie eigene Aussagen – natürlich bereits eine Interpretation; und an manchen Stellen als solche auch durchaus anfechtbar. Und so sollte man sich beim Kauf dieses Buchs der Tatsache bewusst sein, dass man eben keine Quellensammlung erwirbt, sondern ein Buch, in dem ein moderner Autor sein Verständnis aufführungspraktischer Fragen vermittelt und dieses mit Quellen belegt. Was aber natürlich im Titel und Klappentext auch durchaus so kommuniziert wird.
Anders geht Ulrike Engelke an die Sache heran: Bei ihr findet sich bestenfalls einmal ein Einleitungssatz der Autorin selbst, dafür aber eine geradezu überwältigende Menge an Zitaten, respektive Ausschnitten aus Quellen und gelegentlich auch moderner Sekundärliteratur zu noch deutlich mehr und feiner ausdifferenzierten Themen als bei Frowein. Leider existiert hier – anders als bei Frowein – kein Stichwortverzeichnis, sodass man sich auf der Suche nach einem bestimmten Thema jedes Mal durch das achtseitige Inhaltsverzeichnis wühlen muss; doch da findet man sich nach kurzer Zeit gut zurecht, da es bei aller Detailliertheit ziemlich gut strukturiert ist.
Frowein beschränkt sich auf Musik und Quellen des 18. Jahrhunderts, während Engelke das 17. Jahrhundert mit einbezieht, und entsprechend gibt es gewisse Unterschiede in der Auswahl der Quellen: Frowein konzentriert sich da vor allem auf die geläufigeren Autoren des 18. Jahrhunderts, mit kleinen Ausflügen auch ins 19., während bei Engelke etwas mehr der weniger leicht zugänglichen Autoren und mehr aus dem 17. Jahrhundert auftauchen; für ein Buch, das sich ausdrücklich auf beide Jahrhunderte bezieht, allerdings im Grunde zu wenige. Engelke ist selbst in der Alten Musik beheimatete Flötistin: Das erklärt den ganz leichten Fokus auf Blasinstrumenten. Überhaupt ordnet sie die Quellen möglichst nach Instrument, während Frowein als – vorwiegend mit modernen Instrumenten arbeitender – Dirigent dahingehend neutral bleibt. Bei Engelke finden sich auch fast nur Notenbeispiele in der Originalgestalt der Quellen kopiert, während sie im Frowein’schen Band (abgesehen vom Anhang) in modernem Notendruck erscheinen.
Engelkes Band ist zweisprachig deutsch-englisch, richtet sich also auch an ein internationales Publikum, und damit deutet sich vielleicht schon der wesentlichste Unterschied zwischen beiden Büchern an: Während Frowein dem Anfänger im historischen Fach – sei er Amateur oder moderner Orchestermusiker ohne Aufbaustudium – erste Einblicke vermitteln möchte, bietet sich Engelkes Buch mit seiner reinen Quellenzusammenstellung eher für den Profimusiker aus der sehr internationalen Alte-Musik-Welt oder den ambitionierten Amateur und Wissenschaftler an; denn wer nicht zumindest ein klein wenig über die relevanten Fragestellungen Bescheid weiß, mag sich hier leicht verlieren.
Auch äußerlich gibt es deutliche Unterschiede: Froweins knapp 200 Seiten starker Band im handlichen Buchformat ist in gewohnter Bärenreiter-Qualität lektoriert und gedruckt. Die Klebebindung macht es allerdings schwierig, damit zu arbeiten, beispielsweise zu unterstreichen.
Dieses Problem hat man in Engelkes DIN-A4-Konvolut nicht, das mit einer recht sperrigen Plastikspirale gebunden ist. Dadurch lässt es sich gut aufschlagen und ob der zahlreichen Notenbeispiele durchaus auch als Übungsbuch nutzen. Die Bindung und die gelegentlichen Tipp- und Satzfehler lassen es ein wenig hausgebastelt wirken und die Entscheidung, den englischen Text mal neben, mal unter den deutschen auf jede Seite zu drucken, macht die Sache etwas unübersichtlich. Aber gut: Die des Deutschen nicht mächtige Musiker werden es ihr danken. Als Bettlektüre jedoch eignet sich der Band ob seines Formats und Gewichts nicht.
Insofern lassen sich beide Bände für ihre jeweilige Zielgruppe durchaus empfehlen. Man darf hoffen, dass sie auf Dauer nicht die einzigen und auch nicht die ausführlichsten ihrer Art bleiben werden.
Andrea Braun