Julius Korngold

Atonale Götzendämmerung

Kritische Beiträge zur Geschichte der Neumusikismen (Wien 1937)

Rubrik: Buch
Verlag/Label: Königshausen & Neumann
erschienen in: das Orchester 06/2020 , Seite 63

Julius Korngold (1860 -1945) war, was man einen „Großkritiker“ nannte. Als Nachfolger des legendären Eduard Hanslick prägte er über Jahrzehnte die Musikfeuilletons der Wiener Neuen Freien Presse, die seinerzeit zu den bedeutenderen Organen gehörte. Sein Sohn Erich Wolfgang, dessen Erstling – die Ballettpantomime. Der Schneemann – schon von Mahler in die Wiener Hofoper eingeladen wurde, galt als Wunderkind, und seine zweite Oper Die tote Stadt, inzwischen ein Repertoirestück, wurde 1924 zeitgleich an mehreren deutschen Bühnen uraufgeführt. Verständlich, dass nicht nur die bösen Zungen mutmaßten, der „Alte“ habe dem „Kleinen Korngold“ – Karl Kraus wurde nicht müde, das so bissig zu kommentieren – publizistisch den Weg geebnet. Julius Korngold war – wie sich nach der Lektüre bestätigt – ein berüchtigter Kritiker, der an der Neuen Musik ab 1910 kein gutes Haar ließ. Entstanden ist das Buch kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland. Julius Korngold schaffte es so gerade noch, an die US-Westküste zu fliehen, wo Erich Wolfgang auf dem Weg zum Filmmusikstar der Produktionsfirma MGM war. Julius’ Buch ist ein Kompendium der Verrisse aller Musik nach Debussy und Strauss, getragen von einer ultra-konservativen und ziemlich verschroben anmutenden Ästhetik (wenn man sie so nennen darf). Der Furor des Autors macht nicht halt vor einzelnen Komponisten und Werken, Korngold vernichtet auch alles, was an populärer Musik in den 1920er Jahren Einfluss in der Kunstmusik gewonnen hatte: Ob Jazz, ob Neoklassizismus, Neue-Musik-Feste, Zwölftontechnik – alles ist schlecht. Am meisten verstört, dass der alte Korngold Sprache nutzt und Vorurteile teilt, die man so auch in völkischen Blättern finden könnte: Da ist vom „deutschen Kunstgefühl“ die Rede, von „Verseuchung“, von Irrwahn (Zwölfton), und dass diese „Grippe bald dem Erlöschen nahe“ sei. Wie von Verfolgungswahn getrieben, vermutet er hinter der Neuen Musik verschwörerisch eine Clique. Was hatte ihn im Alter von über 75 Jahren bewogen, seine früheren  Kritiken noch einmal zu versammeln und zu dieser Streitschrift zusammenzufügen? Denn den Nazis war in ihrem rassenwahnsinnigen Furor egal, ob da einer so konservativ dachte. Korngold war Jude. In der gut kommentierten Einleitung wird die Geschichte dieses Buches nacherzählt, das durch Emigration in der Nachkriegszeit in Vergessenheit geriet. Irgendwann tauchte ein Korrekturexemplar der Götzendämmerung auf, das man – zum Glück einleitend in einigen Aufsätzen kommentiert – als Faksimile veröffentlichte. Man könnte meinen, Korngolds Verrisse wären Schnee von gestern, und man sollte angesichts seiner Fehlurteile heute milder denken. Weit gefehlt. Dieses Buch trieft vor (schlechter) Meinung und informiert weniger als es missioniert. Wenn man es in die Hand nimmt, ist das quellenkritische Rüstzeug absolut unerlässlich.
Gernot Wojnarowicz