Josef Suk

Asrael. Symphonie Nr. 2 c-Moll op. 27

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Jakub Hru˚ša

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik 900188
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 72

Suks Symphonie Nr. 2 findet man inzwischen auch häufiger auf den Konzertplänen außerhalb Tschechiens. Nach der Einspielung der Essener Philharmoniker unter Tomáš Netopil folgt dessen Landsmann Jakub Hrůša mit dem virtuosen Glanz und lyrische Geschmeidigkeit zelebrierenden Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Der Konzertmitschnitt aus der Münchner Philharmonie im Gasteig vom Oktober 2018 wurde im März 2020 mit dem „Supersonic Pizzicato“ ausgezeichnet. Ihm liegt die Bärenreiter-Edition mit den durch Václav Talich angeregten Korrekturen Suks aus dem Jahr 1921 zugrunde.
Eine gewisse Berühmtheit erlangte das einstündige Opus als zweifaches Requiem. Josef Suk hatte es als musikalische Abschiedsgabe für seinen am 1. Mai 1904 verstorbenen Schwiegervater Antonín Dvořák konzipiert. Während der Arbeit an der Komposition starb Suks 27-jährige Frau Otilka am 6. Juli 1905. Suk erweiterte den ursprünglichen Aufbau und ließ auf die drei Sätze des ersten Teils im zweiten ein musikalisches Porträt Otilkas mit ausgedehnten Adagio-Flächen folgen. Bei der Uraufführung am 3. Februar 1907 im Nationaltheater Prag unter der Leitung von Karel Kovařovic saßen Karel Hoffmann und Jiří Herold, die mit Suk im Böhmischen Streichquartett spielten, im Orchestergraben.
Die Anregung zu dem Titel erhielt Suk durch den im Koran namenlosen Todesengel Asrael. Inspiriert wurde er auch durch den Titel der in Prag gespielten gleichnamigen Oper von Alberto Franchetti. Trotz des menschlich bewegenden Entstehungsanlasses durchmisst das Werk wirkungsorientiert eine große dynamische und klangliche Weite. Kammermusikalische Verdichtungen stehen neben symphonischen Fakturen, es wechseln sich Elegisches und Martialisches ab, Kantables und Pittoreskes. Dirigenten lassen sich von dieser Partitur sicher auch deshalb begeistern, weil sie einen vergleichbar langen Atem hat wie eine frühe Mahler-Sinfonie. Trotzdem passt bei Suk nach genauerer Betrachtung kein Vergleich mit hierzulande bekannteren Werken des spätromantischen Orchesterrepertoires.
Die neue Einspielung besticht einerseits durch die sehr melodiös genommenen Solostellen und die dazu kontrastierenden geschärften Tutti-Stellen. Suk hat sich vieles von Dvořáks oft fein klingenden, aber komplizierten harmonischen Strukturen angeeignet. Letztlich bietet der Titel nur wenige enträtselnde Erklärungen zum Werkaufbau. Es erschließt sich auch nicht mit zwingender Logik, warum Suk als Titel des Requiems für seinen Schwiegervater, der überzeugter Katholik war, einen auf nicht-christliche Legenden zurückgehenden Namen wählte. Im Luxemburger Blog „Pizzi- cato“ äußerte Jakub Hrůša, dass Suks Partitur die vielleicht etwas geringere Kontrastweite als Mahler habe, aber weitaus mehr von der Verletzlichkeit des menschlichen Wesens erzähle. Diesen Aspekt hört man in der Neueinspielung: das Ringen um tiefen Ausdruck ohne falsche Sentimentalität und vor allem mit der hohen Kultur der Transparenz auch in aufrauschenden Fortissimi.

Roland Dippel