Winn, Robert

Articulation

Musikalische Übungen zur Entwicklung der Zungentechnik für Querflöte

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: das Orchester 11/2012 , Seite 77

Überlegte man detailliert, wie das Zusammenspiel von Nervenimpulsen, Muskulatur und Skelett vonstatten ginge und bemühte sich, dieses zum Erreichen der nächstgelegenen Tür vom Gehirn aus aktiv zu befehlen, so stünde man wohl bis zum Ende der Tage felsenfest an seinem Platz – unfähig, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. So mutet es auf den ersten Blick wie eine Sisyphusaufgabe an, den Prozess der Tonerzeugung und Klangumsetzung auf der Flöte gleichsam zu sezieren und wieder erneut – bewusst gemacht und transparent im Zusammenspiel der Parameter Zunge, Mundöffnung, Finger etc. – zusammenzusetzen.
Dem Musiker und Querflötenpädagogen Robert Winn ist es im vorliegenden Band ein Anliegen, die Tonerzeugung auf der Flöte aus einem bisweilen diffusen Nachahmen bzw. einem „so wird es wohl vom Lehrer gemeint sein“ über zahlreiche Beispiele in eine stets bewusst gestaltete Artikulation zu leiten.
Winn fokussiert die Elemente der Tonerzeugung zunächst in einzelnen Kapiteln, die kleinschrittig zusammengeführt werden: Zungentechnik, Die Finger, 24 einfache Übungen zur Zungen- und Fingerkoordination et cetera. An ausgewählten Beispielen aus der Literatur und angelehnten Übungen sollen diese Bereiche isoliert erarbeitet werden. Hier allerdings stellen sich dann in dem ansonsten beispielhaft analytischen Blick auf die Grundproblematik des Flötenspiels doch Fragen: Gibt es für die Finger-Koordination (Chapter 2) nicht eigentlich bereits die eine oder andere bewährte Übung? Warum werden in einem Band, der sicher nicht für den Anfänger auf der Flöte konzipiert wurde, Tonleitern wie C-Dur (absteigend) ausnotiert?! Natürlich hilft die Visualisierung des zu Spielenden immer bei der Umsetzung, da man sich so leichter auf etwas anderes konzentrieren kann. Aber Tonleitern aus unserem doch sehr vertrauten System sollten recht bald gewissermaßen “im Schlaf” abgerufen werden können. Winn fügt hier folgenden Hinweis hinzu: “Wir neigen dazu, zuerst aufsteigende Tonleitern zu üben; allerdings ist es für das Studium der Artikulation anders herum sinnvoller.” Die Erklärung hierfür und für weitere Impulse (“Vokale”) wäre in einer derartig sorgfältig betrachteten Spielvorgangsanalyse schön gewesen. Allein, der Könner weiß um die Problematik, und der Laie wird hoffentlich durch den Könner begleitet…
Dieses ist und bleibt natürlich ein wichtiger Punkt auch beim Studium des vorliegenden Bandes, dessen Vielzahl an Beispielen und Impulsen Lust macht auf eine erneute Auseinandersetzung mit der Thematik. Und das ist der Kernpunkt: Die umfangreiche Sammlung aus der Flötenliteratur in Bezug auf eine sehr sorgfältig analysierte Tonerzeugung bietet für den Flötenstudenten oder sehr ambitionierten Laien mit professioneller Betreuung ein weites Feld der spürbar praxiserprobten Übungsmaterialien, um die Tonerzeugung zu verbessern.
Christina Humenberger