Werke von Aram Chatschatur- jan, Gagik Hovounts und Arno Babadjanyan

Armenian Classics

Wolfgang Meyer (Klarinette), Sontraud Speidel/Ruben Meliksetian (Klavier), Mischa Meyer (Violoncello), Ani Aghabekyan (Violine)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Fineton FTM 8039
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 77

Für zwei dieser drei armenischen Komponisten war Kammermusik eher eine Nebensache oder ein Experimentierfeld für größere Vorhaben. Aram Chatschaturjan (*1903 in Tiflis, † 1978 in Moskau) wurde vor allem durch die Ballette “Gajaneh” (1942/57) und “Spartakus” (1954), durch das David Oistrach gewidmete “Violinkonzert” (1940) und die “Klaviertoccata” (1932) sowie durch die Suiten aus der Schauspiel- musik zu Lermontows “Maskerade” (1945/55) und die “2. Sinfonie” (Sinfonie mit der Glocke, 1943/44) berühmt. Und Arno Babadschanjan (* 1921 in Eriwan, † 1983 in Moskau) verdankte seine Popularität in und außerhalb der Sowjetunion besonders einem Werk: der “Heroischen Ballade für Klavier und Orchester” (1950), mit der er auch als glänzender Pianist aufgetreten ist.
Mit den Kammermusikwerken dieser zwei Armenier bietet die CD aber nicht nur Raritäten – sie vermag zudem den dritten als Entdeckung zu präsentieren. Bei Gagik Hovounts, der von 1930 bis 2019 in Eriwan gelebt und hier mehr als 50 Jahre am Konservatorium Harmonielehre gelehrt hat, stand die Kammermusik im Zentrum seines Schaffens. Diesem liegt ein eigens konzipiertes modal-harmonisches System zugrunde, dessen philosophische und ästhetische Aspekte er in seinen Gedanken über Harmonie dargelegt hat. Einflüsse von Folklore und emotionalen Ausdruckswillen gibt es nicht. Viel aufgeführt wird Hovounts “Duo-Sonate für Violine und Cello” (1981). Der 1. Satz etabliert einen Kontrast zwischen dem harten, modal angelegten Cello-Ostinato und der frei fließenden Melodik der Violine. Der 2. Satz vereint beide Instrumente in einem klanglich weiträumigen Monolog, und der dritte fügt den Spannungen des ersten kräftige rhythmische Akzente hinzu.
Arno Babadschanjan nutzt in seinem “Trio für Violine, Cello und Klavier” (1952) das armenische Volkslied “Es ist Frühling” als thematischen Kern, dessen Varianten jedem der drei Sätze seinen eigenen Charakter geben. Melodisch ungemein eindringlich, lässt das Werk allerdings nicht ahnen, dass sich der Komponist später zur Atonalität und Dodekafonie hinwenden wird.
Das Trio für Klarinette, Violine und Klavier schrieb Aram Chatschaturjan 1932 in seiner Studienzeit am Moskauer Konservatorium – doch es zeigt bereits alle Züge seines multinational ausgerichteten Schaffens. Die Modi, Melismen und Improvisationen des kaukasischen Mugham bestimmen Form und Verlauf der drei Sätze. Die Klangfarben entspringen der Musizierpraxis der Aschugen. Ein usbekisches Volkslied dient als Variationsthema. Und Violine wie Klarinette intonieren östliche Klangwelten; die westliche ist in der komplexen Harmonik und Rhythmik des Klavierparts präsent – eine wirkungsvolle und wegweisende Synthese.
Dass diese musikalische Reise zustande kam, ist nicht zuletzt dem Engagement der fünf armenischen und deutschen Musiker zu verdanken, die die Stücke aufgespürt und mit Hingabe und Bravour in perfek- ter Tonqualität eingespielt haben. Da lohnt das Zuhören allemal!

Eberhard Kneipel