Jules Massenet
Ariane
Münchner Rundfunkorchester, Chor des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Laurent Campellone
Mit seinem Textdichter, dem renommierten Autor Catulle Mendès, ließ Jules Massenet auf die Uraufführung von Ariane am 31. Oktober 1906 im Pariser Palais Garnier später Bacchus (1909) folgen. Wie in Strauss’ Ariadne auf Naxos wird Ariadne zur Geliebten des Gottes Dionysios. Doch am Ende von Massenets Ariane folgt diese nach dem Verlust ihres Liebhabers Theseus an ihre Schwester Phèdre vorerst den Lockrufen der Sirenen ins Meer.
Für diese Aufnahme traf sich im Januar 2023 ein imponierendes Spezialistenteam. Laurent Campellone hat bereits die einzige, 2007 erschienene Aufnahme von Ariane mit dem Orchestre Symphonique et Chœurs Lyriques de Saint-Étienne beim Massenet-Festival dirigiert. An Stilsicherheit, Delikatesse, Sinnlichkeit, Schönheit, Feinheit und Luxus setzte das Münchner Rundfunkorchester im Münchner Prinzregententheater mit der französischen Stiftung Palazzetto Bru Zane eine weitere Glanzleistung. Das Orchester ist in diesem Repertoire zuhause – egal ob Massenet das Glitzern des Mittelmeers malt, Instrumente die Stimmen der fraulichen Leidenschaften verdoppeln (und nie zudecken) oder es mit verzerrenden Farben und einer äußerst effektvollen Tanzszene in den Hades geht.
Ganz sicher kann der französische „Wagnérisme“ viel leichter als der deutsche klingen, was sich in Ariane bestätigt. Massenet komponierte die beiden Hauptpartien Ariane und Phèdre für die Pariser Wagner-Stars Lucienne Bréval und Louise Grandjean. Hier wirken Ariane und Phèdre, nach deren Unfalltod sich Ariane auf dem Weg in die Unterwelt macht, weitaus leichter und weicher: Die Titelpartie wird gesungen von der im lyrischen Koloraturfach zentrierten Amina Edris, ihre Schwester von der internationalen Carmen-Koryphäe Kate Aldrich. Sie beide – und dazu Julie Robard-Gendre als Perséphone – kokettieren zwar gelegentlich mit hochdramatischen Akzenten, machen um diese dann doch einen Bogen und bewältigen die anspruchsvollen Partien mit vokaler Substanz statt Hochdruck. Möglich wird das allerdings nur durch die Orchestergestaltung, in der Campellone alle groben Effekte vermeidet. Bei den reinen Instrumentalstellen befeuert dieser gründlich und löst trotzdem keine Fortissimo-Flächenbrände aus. Er belässt es fast immer beim Glimmen und Glitzern.
Auch aus theaterwissenschaftlicher Perspektive ist das Projekt von Bedeutung. Neben den revolutionären musikalischen Bühnenwerken, die in Paris um 1900 herauskamen, ist das Repertoire der Grand Opéra noch nicht hinreichend erschlossen. Mit Projekten wie Frédégonde am Theater Dortmund, Guercœur am Theater Osnabrück und jetzt Ariane ändert sich das. Auf weitere Entdeckungen darf man gespannt sein.
Roland Dippel