Grau, Gonzalo

Aqua

Oratorio, Partitur/Klavierauszug/CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Carus, Stuttgart 2012
erschienen in: das Orchester 12/2012 , Seite 68

Im Auftrag der internationalen Bachakademie Stuttgart schrieb Gonzalo Grau zusammen mit seinem Vater Alberto – dieser steuerte den Chorsatz bei – das 70-minütige Oratorium Aqua. Ein großes Orchester mit fünf Schlagzeugern, ein versierter gemischter Chor, ein stimmgewaltiger Sprecher, eine solistische Knabenstimme, ein Alt, ein in Höhen wie Tiefen starker Bariton und manche Elektronik sind für eine Aufführung nötig.
Es geht ja auch um viel: das durchsichtige Blut der Erde, den gefährdeten Quell allen Lebens, um die Mutter Wolga, die Sweet Thames und viele aufgezählte andere. Es geht wortreich und allzu plakativ um Flüsse, Dürre, sauren Regen, Fluten, das Meer und die Feier der Ewigkeit im Element, also um mehr als Leben und Tod (Libretto: Maria Fernanda Palacios). Das umfangreiche, überwiegend spanische Textbuch musste musikalisch abgearbeitet werden. Hier vollbringt Grau eine große Leistung. Er schafft ein über die Maßen tragendes, untermalendes, bestärkendes, farbiges und intensivierendes musikalisches Terrain, das beim Livepublikum bei guter Aufführung sicher sehr gut ankommt.
Leider aber erliegt er der Plattheit und dem Kitsch des gut gemeinten ausufernden Textes. Grau weiß die Worte nicht metaphysisch zu überhöhen und in eine neue Sphäre zu heben, wozu Musik als eigenes abstraktes Kunstwerk durchaus in der Lage wäre. Er zeichnet den Text nach, betont ihn quasi im wörtlichen Sinne. Das macht er geschickt und kenntnisreich in sehr eigener Mixtur aus romantischen Verläufen, jazzigen und komplexen Rhythmen und Harmonisierungen, ethnischen Anleihen, einer Prise Neue-Musik-Effekten und mittels einer sehr guten Instrumentierung. Was herauskommt, könnte eine Mischung aus Orff’scher Dramatik, Süffigkeit, gekonntem Sacro-Ethno-Jazz-Pops und avancierter Misa Criolla genannt werden. Orff, der von Adorno provokant der schlechteste Komponist aller Zeiten genannt wurde, zählt nichts desto trotz zu den meist gespielten im klassischen Musikbetrieb. Ähnliches kann bei Graus Aqua nahezu aus-
geschlossen werden. Zu komplex sind rhythmische Anforderungen, zu schwierig zu intonieren die Summe von Sekunden im Chor, zu avanciert die Schlagzeugbehandlung, zu wenig eingängig die Melodik. Jedes Laien­ensemble muss scheitern.
Die Interpreten der vorliegenden CD machen ihre Sache extrem gut. Carlos Sánchez Torrealba (Sprecher), Gioconda Cabrera Colon (Alt), Ivan Garcia (Bariton), Benedikt Hoppe (Knabensopran), die Gächinger Kan-
torei Stuttgart und das Bundesjugendorchester unter Leitung von Maria Guinand geben alles. Die Schlagzeuger verfügen über die nötige Lässigkeit, der Chor ist präsent, intonationssicher und flexibel, die Solisten glänzen mit intensivstem Ausdruck, die Liveaufnahme lebt. Wäre da nicht der Berg von Text, die Kilometer Rezitativ, könnte das reine Hören immer wieder beeindrucken. Doch der kritische Geist kommt nicht darum herum: Redundanz allerorten, zu viele weiße Schimmel eben.
Gerhard Scherer