Antonín Dvorák

Symphony No. 1

Staatsphilharmonie Nürnberg, Ltg. Marcus Bosch

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello Classics
erschienen in: das Orchester 01/2018 , Seite 70

Der Kopfsatz von Antonín Dvo­ráks erster Sinfonie c-Moll op. 3 ist packend und teils schon sehr ausladend. Erstaunlicherweise ist das kein vorsichtiges oder respektvolles Herantasten an eine Gattung, die wie keine andere zu dieser Zeit von Beethoven beherrscht war, was letztlich auch den jungen Solo-Bratscher beeinflusste. Insbesondere die exakte Tonartendisposition (c-Moll, As-Dur, c-Moll, C-Dur) verweist auf Beethovens Fünfte. Dvorák war gerade einmal 23 Jahre alt und kurz zuvor in dem neu gegründeten Interimstheater in Prag angestellt worden.Kennzeichen dieser ersten Sinfonie mit dem Titel Die Glocken von Zlonice ist ihr vorwärtstreibender Eifer einer persönlichen Sturm-und-Drang-Zeit mit übersprudelnden Einfällen. Kompositorisch ist dies jedoch solide Handwerkskunst, die von Orchesterkenntnis zeugt. Dvo­rák fand das Werk gut genug für einen Kompositionswettbewerb in Leipzig. Vielleicht war gerade diese Unbekümmert und formsprengende Zügellosigkeit der Grund, weshalb die Partitur nicht zurückgeschickt wurde. Dvorák glaubte sie verloren, und die Sinfonie wartete bis 1936 auf ihre Uraufführung. Sie ist mit Ausnahme der ebenfalls 1865 entstandenen Zweiten in B-Dur die nunmehr vorletzte Einspielung aller neun Sinfonien des tschechischen Meisters mit Marcus Bosch und der Staatsphilharmonie Nürnberg, aufgenommen im November 2016 in der Nürnberger Meistersingerhalle.Gleich im Kopfsatz setzen die Akteure auf diese Jugendlichkeit und Unverbrauchtheit. Mit drängendem Elan wie auch in frischen Tempi interpretieren sie den Kopfsatz, der sich bei älteren Aufnahmen wegen der relativ starken Blechpräsenz der Partitur oft etwas schwerfälliger gibt. Sinfonische Kathedralklängen oder falsch verstandenes Pathos kommen bei der Intensität, mit der Bosch seine Philharmoniker durch die Partitur jagen, erst gar nicht auf. Obwohl man sich allgemein darüber einig ist, das ein lautmalerisches Ge­läut von Glocken in diesem Werk nicht vorliegt und dass der Titel eher einer Erinnerung Dvoráks an seine Kindheit in Zlonice geschuldet sein soll, erklingt nach den einleitenden Takten und dann in den ruhigen Passagen von den exzellent aufspielenden Holzbläsern schon so etwas wie eine Art fernes Glockengetön im Dreiertakt. Selbstverständlich wollte der Komponist hier keine „naturalistische Imitation“, wie Kai Weßler zu Recht im zweisprachigen und bebilderten Booklet schreibt. Es bleibt bei Mutmaßungen, da Dvorák keinen Hinweis auf dem Autograf hinterlassen hat.Ruhe und reflektierende Zurückschau erklingt erst im langsamen Satz insbesondere von den Oboen, welche Dvorák nun mehr und mehr in den Vordergrund rückt und welche die Aufgewühltheit des Kopfsatzes durch Anmut zunächst schlichten. Dennoch stehen auch in den übrigen Sätzen geschlossene Blechbläser sowie mit starken und intensiven Strichen agierende Streicher polarisierend für die andere Seite der oft widerstreitenden Charaktere in dieser Sinfonie, die Bosch und seine Philharmoniker bestens herausarbeiten.
Werner Bodendorff