Andreas Krause

Anton Webern und seine Zeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Laaber, Laaber
erschienen in: das Orchester 07-08/2018 , Seite 59

Das musikalische Schaffen berühmter Meister im Zusammenhang mit biografischen, aber auch kultur- und zeitgeschichtlichen Aspekten zu verbinden, ist das Anliegen der Reihe „Große Komponisten und ihre Zeit“, die im Laaber-Verlag erscheint und inzwischen auf um die 40 Bände angewachsen ist. Eine völlige Neuerscheinung ist die vorliegende, im Rahmen dieser Reihe publizierte Monografie über Anton Webern nicht, sondern eine zweite Auflage, in der gegenüber der ersten aus dem Jahr 2001 Fehler ausgemerzt, Ungenauigkeiten der Darstellung verbessert und Literaturangaben aktualisiert wurden. Wichtiger noch: Manche Passagen der Darstellung wurden umgeschrieben und ihr ein neues Schlusskapitel hinzugefügt, das sich „mit der wirkungsgeschichtlich revolutionären Behandlung von Raum, Zeit und Stille beim späten Webern“ beschäftigt und damit den Brückenschlag über den Serialismus hinaus zu dessen vermeintlichem Antipoden John Cage versucht.
Das Konzept der Reihe der „Großen Komponisten“ ist wohlbekannt: die organisatorische Zweiteilung in einen eher stichwortartigen „Chronik“-Abschnitt mit biografischen Daten vor dem Hintergrund der Zeit, gefolgt von einem umfangreicheren, dem Werk gewidmeten „Aspekte“-Teil. Letzterem gibt der Autor, der an der Universität Mainz tätige Musikwissenschaftler Andreas Krause, eine unerwartet philosophische Dimension, wenn er zur Deutung von Weberns Schaffen Ideen Peter Sloterdijks zu einer „Phänomenologie des weltlosen oder weltabgewandten Geistes“ heranzieht.
Eröffnet wird der Aspekte-Teil mit einer Betrachtung, welche Rolle Weberns Schaffen im Rahmen der „Institutionen der zeitgenössischen Musik“ einnahm, wobei Krause zu Recht konstatiert, dass es bei den „Darmstädter Ferienkursen“ quasi politisch vereinnahmt und nur kompositionstechnisch, nicht poetologisch wahrgenommen wurde. Die folgenden Kapitel wenden sich zunächst der Orchestermusik zu (mit einem bewusst gesetzten und anschließend erörterten Fragezeichen hinter dem Begriff „Orchester“) sowie der Kammermusik, wo der Autor unter anderem den Übergang zwischen Ton und Geräusch in Weberns Musik untersucht.
Um Weberns „Reihenspiele“ geht es danach, exemplifiziert unter anderem an den Klaviervariationen op. 27, und schließlich, im letzten Abschnitt des ursprünglichen Konzepts, um einen „Versuch zur Vokalmusik“, die sonst allzu leicht über der „emphatischen Rezeption der Instrumentalwerke Weberns“ in den Schatten der Aufmerksamkeit gerät.
Eine Besonderheit sind die in jedem Abschnitt des „Aspekte“-Teils enthaltenen „Re-Visionen“. In ihnen zeigt Krause auf, wie Weberns komponierende Zeitgenossen und Nachfolger sein Werk zitierten, bearbeiteten und weiterentwickelten. Die Liste der einschlägigen Namen ist lange genug: Dieter Schnebel und Henri Pousseur zählen dazu, Nikolaus A. Huber und György Kurtág, aber auch, wenig vermutet, Paul Hindemith mit seiner „Pittsburgh Symphony“.
Gerhard Dietel