Reiner E. Moritz

Anton Bruckner

The Making of A Giant

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Arthaus Musik
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 80

Lauter eloquente Herren reden respektvoll über Anton Bruckner. Über Leben, Lieben, Posten und… nur selten über seine Musik. Der Sprachfärbung wegen sind sie dem Nachbarland Österreich zuzuordnen, vorgestellt werden sie nicht. Nicht einmal Simon Rattle und Kent Nagano werden namentlich genannt, ihre (leider wenigen) klugen Gedanken zu Komponist und Werk nicht aus dem Englischen übersetzt. Das ist erstaunlich, gilt doch der Macher dieses Films, Reiner E. Moritz, als erfahrener Dokumentarist von Musikern und Komponisten. Doch beim Thema Bruckner ist er gleich in mehrere Fallen getappt.
Das beginnt schon beim Titel, der für die englische Fassung The Making of a Giant lautet, die deutsche Version dagegen heißt Ein verkanntes Genie. Doch weder das eine noch das andere wird je benannt – und behandelt schon gar nicht. Stattdessen endlose Kamerafahrten durch Kirchen, jede erreichbare Bruckner-Gedenktafel wird sorgsamst abgebildet. Einmal lässt Moritz sogar in einen Touristenbus filmen, dessen Insassen zuvor lustige (Bruckner-?)Hüte probiert haben – das hat das Niveau von Fernseh-Biopics oder Royal-Berichterstattung, mit einer Dokumentation hat es dagegen wenig zu tun.
Dass Moritz’ „Kronzeuge“ in diesem Film von 2019 ausgerechnet Valery Gergiev, der gerade wegen tiefer Treue zum Aggressor Putin geschasste Dirigent, ist, mag Pech sein. Aber es gibt, bis auf wenige Orgel- und Chorpassagen, auch nur Musik mit Gergiev und – vermutlich – den Münchner Philharmonikern; genannt werden auch sie nicht, die Werke gleich gar nicht.
Dabei hätte es ja beredte Gesprächspartner gegeben: Kent Nagano etwa, für den es „nothing before, nothing after“ Bruckner gibt. Oder Simon Rattle, der den „great human spirit“ des Komponisten preist. Erläutern und begründen dürfen sie ihre Aussagen nicht, werden lediglich als prominente Einsprengsel genutzt. So aber taugt diese Dokumentation weder für Kenner noch für Neugierige, denn zu Bruckner erfährt man kaum Substanzielles.
Dass er „sein Leben lang Lehrer sein wollte“, aber Komponist war? Dass seine 3. Sinfonie nach dem Uraufführungsdesaster doch noch zum Triumph wurde? Dass er „von der Orgel als Raumklang fasziniert, geradezu den Nachhall mitkomponierte“, wie die österreichische Bruckner-Forscherin Elisabeth Maier immerhin ausführen darf? All das wird im Stile von „abgehakt, schnell weiter“ behandelt. Auch Maier wird nicht genannt, ist aber ohnehin eine von nur zwei Frauen im ganzen Film, so kann man sie wenigstens recherchieren.
Dass es um Anton Bruckner und sein Werk Krach, Konflikte, Fehden und Ablehnung gab, erfährt man hier nur aus zeitgenössischen Kritiken, die der Burgschauspieler Cornelius Obonya charmant-süffisant in die Kamera spricht. Dass in Moritz’ Film Lokalpatriotismus und Heimatstolz Regie geführt haben, treibt ausgerechnet Elisabeth Maier auf die makabre Spitze: „Hitler war Oberösterreicher, Bruckner auch; Hitler liebte Wagner, Bruckner auch; Bruckners Pathos und Erhabenheit haben die Nazis missverstanden […]“ Oje.
Ute Grundmann