Yoshiaki Onishi
Antefenas-Studies
für Ensemble und Elektronik, Studienpartitur
„Antefenas“ – bedeutet so viel wie Antiphon oder Anthem, allerdings ohne religiöse Anklänge, ein Wechsel zwischen einem unveränderlichen und einem sich entwickelnden Element. Es geht Yoshiaki Onishi um die gegenseitige Beeinflussung, ja, Veränderung der Wahrnehmung von Klängen. Auf der einen Seite die Spieler des Ensembles mit traditionellen, aber stark veränderten Instrumenten – und auf der anderen Seite die zuvor eingespielten und nun über ein Masterkeyboard in den Raum hinein schallenden MIDI-Ton-Schnipsel.
Somit ist das Programm klar umrissen: Veränderungen in Raum und Zeit erlebbar zu machen ist das Ziel des 1981 im japanischen Hokkaido geborenen und heute in den USA lebenden Komponisten. Bei der Suche nach dem Klang ist er sich auch in diesen 2018 komponierten und Robert Coburn gewidmeten Studien treu geblieben, neu ist aber der konsequente Einsatz der Elektronik. Auf den ersten Blick scheint das ein Rückgriff auf die Anfänge der experimentiellen Musik zu sein, als das Tonband (später der Synthesizer) Einzug in die Konzertsäle fand, aber Onishi verfolgt doch einen anderen Ansatz. Es geht ihm nicht um Verfremdung oder Erweiterung des Klangspektrums, die für die Uraufführung im Februar 2019 eingespielten MIDI-Daten sind Konstanten. Unveränderbar, immer gleich klingend, bilden sie den Gegenpart zum wechselnden Klang der live gespielten Instrumente. Detailliert ist zu Beginn der Partitur das Setting der Elektronik erläutert. Die genaue Stellung von MIDI-Keyboard, PC und Audiointerface bis hin zur Stellung der Boxen werden vorgeschrieben. Auch die Quelle der MIDI-Dateien und der „Antefenas-Studies-MaxPatch.24.app“ werden genannt.
Perkussiv beginnt die in drei große Teile gegliederte Komposition den ersten Akustik-Dialog. Der präparierte Flügel (die tiefen Saiten sind mit Schrauben, die hohen durch Klebeband oder Gummi verändert) tritt durch einzelne Patterns in den Dialog mit den tiefer scordierten Streichern und dem Percussionblock. Allmählich kommen die MIDI-Klänge dazu. Für Onishi mischen sich damit Räume und Wahrnehmungen. Die Klänge des realen Raums treten in den Dialog mit dem virtuellen, zugespielten Klangraum. Die Intensität der beiden Räume verdichtet sich und mündet in den MIDI-freien Mittelteil. Bläserklangfetzen treffen auf die verfremdeten Pianoklänge, mal drängend, mal sich treiben lassend leuchten sie den realen Raum aus und münden wieder in einen Akustik-Dialog, der die Klangsprache des Anfangsteils aufgreift. Somit schließt sich der Kreis.
Die Antefenas-Studies sind eine recht sperrige Komposition. Der Mangel an Klang-Thematik, die Dominanz des Geräuschhaften erschweren den spontanen Zugang. Das Abrufen der MIDI-Sequenzen über ein Masterkeyboard macht das Lesen der Partitur nicht gerade übersichtlich. Aber Yoshiaki Onishi hat eine neue Tür für die Elektronik aufgestoßen. Seine Antefenas-Studies sind weder manieriert noch durch elektronische Spielereien überlastet. Wer sich auf das Konzept einlässt, wird in eine spannende Welt geführt.
Markus Roschinski