Stranz, Ulrich
Anstieg Ausblick
für Orchester, Partitur
Mit dieser Partitur liegt die posthume Erstausgabe eines Werks vor, das durch Nuancenreichtum, eine breite klangliche Farbpalette und fein gestaltete Klangprozesse charakterisiert ist. Es erfordert eine hohe Präzision beim Zusammenspiel und ein aufmerksames Aufeinander-Hören der Instrumentalisten. Anstieg Ausblick ist ein Auftrag des Aargauer Symphonie-Orchesters. Es wurde am 12. November 2002 in Aarau (Schweiz) vom Aargauer Symphonie-Orchester unter der Leitung von Israel Yinon uraufgeführt.
Wie Stranz selbst in Kommentaren preisgab, war das Werk ursprünglich als Komposition für Orchester und Stimme gedacht, wobei der Text auf das Thema Alpen/Bergwelt Bezug nehmen sollte. In Ermangelung eines geeigneten Textes und aus Skepsis gegenüber der Vertonung von Texten generell habe sich das Werk dann zum Orchesterwerk hin entwickelt, wobei die innere Verbindung zur alpinen Gedanken-, Stimmungs- und Assoziationswelt aber erhalten geblieben sei. Mit aller Vorsicht ist demnach hier von einer Art programmatischem Entwurf zu sprechen ohne dass etwa ein Programm vorläge.
Der Idee Anstieg Ausblick lässt sich denn auch die Formkonzeption zuordnen. Dem Anstieg entspräche der erste, deutlich längere Teil, der in Wellenbewegungen gleichsam vorwärts drängt und innehält bzw. zurückfällt, dem Ausblick der zweite Teil, der von großer Ruhe geprägt ist und sich weit verströmt. Merkwürdig, dass beide Teile vom Umfang und von der Dauer her unterschieden sind der erste ist deutlich länger als der zweite , sie aber dennoch als durchaus gleichgewichtig und gleichrangig zu hören sind! Der Höhepunkt, in den der erste Teil einmündet und der zugleich den Umschlag vom Anstieg zum Ausblick bedeutet, wird nach deutlicher Beschleunigung, starkem dynamischen Wachstum und Tonhöhenanstieg erreicht. Der Umschlag zum Ausblick erfolgt plötzlich, subito: sub. molto meno mosso heißt es in der Partitur (S. 32). Liegeklänge und weit gespannte Melodien, die wie in Zeitlupe zu singen sind, prägen von jetzt an das Klangbild. Der letzte Klang, ein h”’ der 1. Violinen, wird überaus lang gehalten und verliert sich im Decrescendo; etwas eher als dieser Klang verschwinden die übrigen Streicher (Vl 2, Vla, Vcl, Kb) in der Weite.
Die Instrumente (Holzbläser, Blechbläser, Pauken, Schlagzeug mit drei Spielern, Harfe, Streicher) werden sehr transparent eingesetzt, sodass durch die Art ihres Zusammenspiels (Parallelführungen der Stimmen, Fortsetzung einer Stimme in einer anderen, Abspaltungen von solistischen Stimmen) differenzierte Klangprozesse und vielerlei Färbungen von Klängen zustande kommen. Hier wenige Beispiele: Die Violen geben einen Impuls, solistisch wird dieser Impuls fortgetragen (flaut., sul tasto); die Kontrabässe setzen einen Akzent (pizz.), im Solo-Kontrabass wird dieser Akzent eingefärbt (mit der Hand auf Instr.-Korpus geschlagen); die Flöten halten einen Liegeklang aus, der durch die Parallelität der Stimmen eine eigene Färbung und seine spezielle Dauer gewinnt. Farblich sehr bunt wird das Werk nicht zuletzt auch durch den Einsatz des Schlagzeugs.
Eva-Maria Houben