Albrecht Dümling

Anpassungsdruck und Selbstbehauptung

Der Schott-Verlag im „Dritten Reich“

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: ConBrio
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 60

Die wegen Corona weitgehend entfallenen Feierlichkeiten zum 250-jährigen Bestehen des Schott- Verlags waren der Anlass zur Entstehung des ersten Bands in der Reihe „Musik und Zeitgeschichte“ des ConBrio-Verlags. Albrecht Dümling untersucht in seiner lesenswerten Darstellung die Strategien der Schott-Inhaber Ludwig Strecker jun. (1883-1978) und Willy Strecker (1884-1958) während des Nationalsozialismus. Im Jahr 2014 verkaufte die Verlagsleitung das bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg reichende historische Archiv an die Staatsbibliothek Berlin und die Bayerische Staatsbibliothek München. Zu den von Dümling eingesehenen Quellen gehörten außerdem Geschäftskorrespondenzen, das Verlagstagebuch und Ludwig Streckers privater Kalender.
Dümling rekapituliert Verlagskontakte zu Komponisten, die entweder emigrierten wie Paul Hindemith und Ernst Toch oder sich mit den Richtlinien der NS-Kulturpolitik arrangierten wie Hermann Reutter und Werner Egk. Deutlich wird dabei, dass die Brüder den zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nazis 1933 aufstrebenden Toch vor der sich ankündigenden Judenverfolgung zu schützen versuchten und sich später für die Züricher Uraufführung der Oper Mathis der Maler des wegen seiner Zeitoper Neues vom Tage wenig geschätzten Hindemith einsetzten.
„Neue Volksopern“ wie Egks Zaubergeige mit der während der Entstehung gemilderten Juden-Karikatur des Wucherers Guldensack, Reutters von den NS-Kulturbehörden als zu anspruchsvoll erachteten Doktor Johannes Faust und Joseph Haas’ Tobias Wunderlich, deren Textbücher Ludwig Strecker unter dem Pseudonym Ludwig Andersen verfasst hatte, sicherten Schott eine exponierte Stellung.
Durch erfolgreiche Mischkalkulation behauptete sich der Verlag als Marktführer der deutschen Musikverleger. Auch ideologische Nähe der Verlagsinhaber zum Nazi-Regime lässt sich aus den Verlagsunterlagen rekonstruieren. Titel wie Das Neue Soldaten-Liederbuch, die bereits 1933 erschienene Kampf und Freiheitsliedersammlung Neues Deutschland, Georg Fürsts Badenweiler Marsch sowie Operettenbände und Anthologien erschienen in riesigen Auflagen. In den ersten Jahren nach 1933 kultivierte der Verlag in den Zeitschriften Der golden Brunnen , Neues Musikblatt, Der Weihergarten und Melos, die in der Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 als „Tummelplatz aller Dolchstöße gegen das Deutsche in der Musik“ (Dümling) gebrandmarkt wurde, noch verschiedene Sachschwerpunkte.
Detailliert beschreibt Dümling die komplizierten Verflechtungen des Schott-Verlags zwischen Politik und unternehmerischem Kalkül, zum Beispiel bei der schließlich doch nicht erfolgten Übernahme des österreichischen Musikverlags Universal Edition. Annäherungen an die NS-Ideologie und Systemzwänge folgten in erster Linie wirtschaftlichen Erwägungen, die bis 1945 zur Stabilität des von internationalen künstlerischen Entwicklungen zunehmend isolierten Unternehmens beitragen sollten.
Roland Dippel