Liza Lim
Annunciation Triptych
Emily Hindrichs (Sopran), WDR Sinfonieorchester, Ltg. Cristian Măcelaru
Liza Lims Musik behandelt große Themen, sei es die griechische Mythologie (Sappho für Flöte solo oder die Oper Orestie), die Spiritualität der Natur (How Forests think oder Atlas of the sky für Ensemble) oder das Thema Artensterben und Meeresverschmutzung (Extinction Events and Dawn Chorus für Ensemble). Die 1966 in Australien geborene Komponistin imaginiert sich räumlich wie zeitlich an weit entfernte Punkte, etwa zum Saturnmond Enceladus (An Ocean beyond Earth für Cello solo) oder zum Grab des chinesischen Marquis Yi (Machine for contacting the dead für Ensemble). Es sind oft ambitionierte naturphilosophische Gedankengebäude, die Lim um ihre Werke errichtet. Man sollte sich davon aber nicht den Weg zur ihrer klangsinnlichen, sogmächtigen Musik verstellen lassen.
Auf der vorliegenden CD finden sich drei Orchesterstücke, die ebenfalls um gewichtige Sujets kreisen. Das Annunciation Triptychon, entstanden in den Jahren 2019 bis 2022, widmet sich drei spirituellen Frauenfiguren: Sappho, Mary (Maria) und Fatimah, Tochter des Propheten Mohammed. Es handelt sich nicht um musikalische Charakterisierungen der Personen. Lim versteht die Geschichte dieser Frauen als „Kommentare zu ökologischen, spirituellen und transkulturellen Themen unserer Zeit“, so liest man im Booklet. Das wird durch die Zusätze wie „Sappho/Bioluminiscence“, „Mary/
Transcendence after Trauma“ und „Fatimah/Jubilation of the Flowers“ unterstrichen. Liza Lim, Professorin am Konservatorium von Sydney, komponiert mit breitem Pinsel, aber auch mit feiner Feder. Sie reizt das Klangpotenzial eines groß besetzten, weitgehend konventionellen Orchesters mit bemerkenswertem Geschick aus. So bestehen die ersten Minuten von Mary aus einem langsam sich verändernden weiträumigen Schimmern und Strahlen. Nach einigen Minuten taucht man in eine subtil gestaltete Dreiklangswelt ein, in der auch ein typischer Mahler-Klang aufscheint, gepaart mit dem Lockruf von Röhrenglocken.
In die Abteilung „Feinzeichnung“ gehören Klangeffekte wie ein schwingendes Blech, das an einen großen, vorbeiflatternden Vogel erinnert, oder fein differenziertes chromatisches Flirren etwa in den Holzbläsern. Auffällig die häufigen Allusionen an die Obertonreihe, die sich als Hinweis auf den Ursprung der Musik in der Natur lesen lassen. Der Beginn von Fatimah (Partitur auf Lims Homepage) macht einem Bruckner alle Ehre. Alle drei Teile, so wird die Komponistin im (eigenwilligen, aber lesenswerten) Booklet-Text zitiert, „erforschen Themen der Offenbarung und des Rituals“. In Fatimah singt die Sopranistin (herausragend: Emily Hindrichs) Passagen aus einem Gedicht von Etel Adnan. Das WDR Sinfonieorchester unter Cristian Măcelaru sorgt für transparente und klangschöne Interpretationen, die Tontechnik für ungetrübten Hörgenuss.
Mathias Nofze