Vogt, Matthias Theodor / Erik Fritzsche / Christoph Meißelbach

Ankommen in der deutschen Lebenswelt

Migranten-Enkulturation und regionale Resilienz in der Einen Welt, Europäisches Journal für Minderheitenfragen, Jg.9, Heft 1-2

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Berliner Wissenschafts-Verlag 2016
erschienen in: das Orchester 02/2017 , Seite 58

Kultur ist kein Sahnehäubchen, sie ist ein Grundnahrungsmittel. Das gilt auch bei der Integration von Flüchtlingen: Sie brauchen nicht nur Sprachkurse und Unterkunft, sondern auch die Gewissheit, am kul-
turellen Leben ihrer neuen Heimat teilhaben zu können. Der Begriff „Enkulturation“ ist indes noch viel weiter gefasst. Rita Süssmuth definiert ihn im Geleitwort zu Matthias Theodor Vogts Buch Ankommen in der deutschen Lebenswelt als „Hineinwachsen in Wertvorstellungen, in die Normen einer Gesellschaft“.
Mit seinen Ko-Autoren Erik Fritzsche und Christoph Meißelbach unternimmt Vogt den Versuch darzulegen, wie „der abendländische Wertekanon den Aufzunehmenden“ vermittelt werden kann – eine „Integrationsherausforderung“, die nach Überzeugung der Autoren nur gemeinsam von Verwaltung und Bürgern bewältigt werden kann. Sie gehen dabei von der Hypothese aus, „dass es ganz wesentlich Kunst ist, die Kulturaneignung im Modus der Enkulturation […] von Migranten leisten kann“.
Das Buch – teils Materialsammlung, teils Studie – ist am Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen (Görlitz) entstanden und nimmt vor allem die Situation in den ostdeutschen Bundesländern und speziell in Sachsen in den Fokus. Im Studien-Teil und im Anhang sind Interviews mit Exponenten aus Wirtschaft, Politik und Kultur Sachsens zusammenfassend dokumentiert, die aufschlussreiche Beispiele dafür liefern, wie Integration im Konkreten gelingt und welche Rolle Kultureinrichtungen bei der Integration und der Vermittlung von Wertvorstellungen spielen. Wenn es um die „Weitergabe von (Wert-)Vorstellungen“ geht, fragt die Studie leider ausschließlich nach bildender Kunst, Literatur und Theater. Umso interessanter, wenn die interviewten Kulturakteure dennoch auf Musikprojekte verweisen – wie die Orgelbauerin Anne-Christin Eule aus Bautzen, die ein Orches­ter nennt, in dem Migranten „professionellin der Gemeinschaft musizieren“.
Vogt und seine Ko-Autoren spannen insbesondere in der Materialsammlung den ganz großen, gelegentlich zu weiten Bogen. Der historische Rückblick bis zu den Anfängen des politischen Begriffs „rechts“ führt hier zu nichts. Kapitelüberschriften wie „Was ist das Gegenteil einer glückenden Kulturpolitik?“ wecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden (können). Und ob die mehrseitige Erörterung des „Einflusses des realsozialistischen Experiments der DDR auf die Wertegrundlagen der ostdeutschen Gesellschaft“ viel bringt in einer Studie, die sich mit der Integration von Migranten 2016 ff. befasst, ist fraglich. Aber bei all ihren Exkursen ist die Studie in wichtigen Bereichen erfreulich konkret – etwa, wenn sie Handlungsvorschläge und -empfehlungen „für eine erneuerte Migrations- und Integrationspolitik“ anbietet. Die Ideen sind zum Teil so anregend, dass man der Studie auch ihre wildgewordene Gliederung bis hinunter zum Punkt 6.3.3.3.1.5. gern verzeiht.
Frauke Adrians